CD-Kritiken

Hier erscheinen in loser Reihenfolge CD-Rezensionen:

 23.12.2023 Brainwork - The Studio Sessions

 25.10.2023 Kontroll-Raum - Gate 23

 02.10.2023 Lambert: Bon Courage 

 11.09.2023 Mike Hans Steffl: Calaboose Islands

 18.08.2023 Various Artists: BERLIN – A Tribute Album For Mark Shreeve

 24.06.2023 [‘ramp] – arp-en-ciel  

 25.03.2023 Pete Farn: Grainscapes Vol. 1 

 11.03.2023 Otarion - Logos 

 07.03.2023 Peter Mergener - New Horizons 

 07.03.2023 - David Rothenberg, Bernhard Wöstheinrich, Ali Sayah - Homayoun 

 12.02.2023 - Robert Schroeder - Floating Music (Edition 2023) 

 03.01.2023 - [‘ramp] – Happy Days Are Here To Stay 

 20.11.2022 - mypan: mixta caseo patina 

 17.11.2022 - Various Artists: schallplatte 25 - Zeitenwende  


Brainwork - The Studio Sessions

1.

The Hardware Session

24:06

2.

The Software Session

23:13

3.

The Hybrid Session

22:04

Uwe Saher legt mit „The Studio Sessions“ sein 24. Brainwork-Album vor. Und was für ein mitreißendes Album ist das geworden!

Im Booklet schreibt Uwe, dass alle drei „Sessions“ an Musikstücke von Klaus Schulze angelehnt sind. Nun ja, die vermutlich prägendste Gestalt der Berliner Schule hört man bei sehr vielen Produktionen in diesem Genre deutlich heraus, und bei „The Studio Sessions“ wäre mit diesem Hinweis auf Schulze-Tracks alles andere auch seltsam. Mich persönlich stört der starke Einfluss Klaus Schulzes überhaupt nicht. Meiner Meinung nach ist es auch kein Abkupfern bei Schulze, sondern durch die fein ausgearbeiteten Sounds, die Rhythmustracks und die Melodien klar ein eigenständiges Werk.

In der Musik auf dieser CD ist eine deutliche Steigerung der Intensität, der Spannung spürbar, bis zum kraftvollen dritten Stück „The Hybrid Session“. Der Sound der Melodie in der Hardware Session wirkt zart und fast zerbrechlich, in der Software Session ist die Melodie klangmäßig schon viel robuster. Und die Hybrid Session steigert das noch mal etwas weiter. In diesem Abschlusstrack ist aber vor allem die rhythmische Basis sehr druckvoll und treibend. Und wenn kurz vor der 9-Minuten-Marke zusätzliches Percussion erklingt, finde ich das einfach großartig.

Bei jedem der drei Tracks wünsche ich mir genauso wie beim gesamten Album, dass das bitteschön noch weitergeht, nicht aufhört, sondern mich weiter auf die musikalischen Reisen nimmt. „The Studio Sessions“ ist für mein Gefühl ein hervorragendes Berliner-Schule-Album, das mir unmittelbar wieder klar macht, warum mir dieses Genre in der Elektronikmusik nach wie vor am besten gefällt.

Vielleicht versteige ich mich da zu einer etwas gewagten These, aber ich meine, Brainworks „The Studio Sessions“ hat das Zeug zum Klassiker. - Ich sage nur: Danke Uwe!

Andreas Pawlowski


Kontroll-Raum: Gate 23  

1.

The Runaway

11:15

2.

Waiting For Departure

10:16

3.

The Impossible Groove

9:47

4.

Rumble @ Bungalowdorf

8:46

5.

Sparkling

11:10

6.

It All Starts With The Second Step

14:21

7.

Cats, Sheep & Dogs

7:24

Aus dem Hause Manikin entstehen immer wieder neue Formationen, wenn auch oft mit „alten Bekannten“. Mit „Gate 23“ liegt erst das zweite Album von Kontroll-Raum vor. Die Neulinge von Kontroll-Raum sind aber eben schon lange in der EM-Szene unterwegs: Bas Broekhuis, Frank Rothe und Mario Schönwälder.

Vier der sieben Stücke des neuen Albums waren bereits am 14. Oktober 2023 beim Konzert von Kontroll-Raum auf dem E-Live-Festival in Eindhoven zu erleben.

Natürlich hat die Musik von Kontroll-Raum Ähnlichkeiten mit der von BK&S, denn schließlich gehören zwei Drittel von BK&S, nämlich Bas Broekhuis und Mario Schönwälder, auch Kontroll-Raum an. Dass aber anstelle von Detlef Keller bei BK&S Frank Rothe Teil von Kontroll-Raum ist, macht durchaus einen Unterschied. Es sind vor allem andere Sounds zu hören. Zudem meine ich, dass bei Kontroll-Raum der Anteil von Bas Broekhuis als Percussionist ein etwas größeres Gewicht bekommt. Das mag aber auch einfach mein Eindruck aufgrund des Konzerts beim letzten E-Live sein, wo die Drums weit nach vorne gemischt wurden.

Wie auch immer, wer die Musik von BK&S oder auch anderen Konstellationen, in denen die Musiker sich tummeln, kennt und mag, wird bei Kontroll-Raum keinesfalls enttäuscht. Das gilt für das Debütalbum „Check-In“ ebenso wie nun für „Gate 23“. Der Eröffnungstitel „The Runaway“ schafft mit etwas dunkleren Klangfarben eher Atmosphären denn ausgeprägte Melodielinien. Der dominierenden Sequenz in „It All Starts With The Second Step“ würde ich eine hypnotische Wirkung unterstellen. „The Impossible Groove“ ist nicht ganz so unmöglich, das Stück groovt richtig schön. „Sparkling“ zeichnet eine an den Sound einer weit hinten im Raum gespielten Gitarre erinnernde Melodie aus. „Cats, Sheep & Dogs“ – das Stück kann man, sowohl was die Sequenz als auch Percussion betrifft, für Kontroll-Raum-Verhältnisse rasant nennen – setzt einen guten Schlusspunkt. Ganz am Ende fällt eine Tür ins Schloss – Gate 23 (oder der Schafstall?) geschlossen – Album zu Ende.

Für mein Empfinden ist „Gate 23“ Berliner Schule par excellence, und das mit niederländischem Touch. Die Musik von Kontroll-Raum ist zurückhaltend, nicht aufdringlich, nichts wird zu dick aufgetragen. Selbst bei einem Track wie „Rumble @ Bungalowdorf“ (den Titel finde ich übrigens recht witzig) bleibt die Musik eher friedlich. Das einzige Zugeständnis an die Aggressivität im Titel ist vielleicht die durchgängige Bassdrum, die man bei Kontroll-Raum eher selten hört.

Allzu viel Gewicht bzw. Bedeutung sollte man den Titeln ohnehin nicht beimessen. Das Kind muss halt einen Namen haben. Mario Schönwälder ist derjenige, der die meisten Ideen für die Benennung einzelner Musikstücke beisteuert. Und Mario ist ein Mensch mit Humor. Vielleicht trifft das auch auf das Cover der CD zu. Marios Kommentar beim Konzert in Eindhoven lautete, dass man am Flughafen nach dem Check-In (dem Debütalbum von Kontroll-Raum) zum Gate kommt, also hier zum zweiten Album. Die 23 könnte die Nummer des Gate bedeuten oder vielleicht das Jahr. – Nun, wenn in diesem Fall das Gate gemeint ist, möchte ich den Flughafen mal sehen, der Gates wie auf dem Cover vorhält…

Es ist immer ein Erlebnis, diese Musiker auf der Bühne zu erleben. Der Spaß, den sie bei Konzerten haben, ist sicht- und hörbar, und diese Freude überträgt sich auch auf das Publikum. Zu sehen gibt es immer etwas; ich finde es faszinierend, zum Beispiel Bas zuzuschauen, wie er einem Perkussionsinstrument die unterschiedlichsten Sounds entlockt, einen Schalter betätigt und wieder mit völlig anderen Klängen, aber demselben Instrument, den Rhythmuspart eines Stückes bestreitet.

Ich war auf das Konzert von Kontroll-Raum beim E-Live-Festival 2023 sehr gespannt, und ich habe mich sehr auf das Album „Gate 23“ gefreut. In beiden Fällen sind meine Erwartungen mehr als erfüllt worden. Dieses Album kann ich nur jeder und jedem mit einem Faible für die Berliner Schule empfehlen, und allen, die die Musik von Mario, Bas und Frank oder anderen aus dem Dunstkreis von Manikin mögen, sowieso.

Andreas Pawlowski


Lambert: Bon Courage

 

VÖ: 01.10.2023, Spheric Music

1.

New Horizon

6:40

2.

Dream Glide

7:40

3.

Cave World

5:30

4.

Fantasy Plays

5:08

5.

Towards Truth

2:05

6.

Runguar

2:30

7.

Secret Call

5:27

8.

Chain Of Images

8:32

9.

Deep Cloud

2:37

10.

Fading Memories

8:02

11.

Candle

1:52

12.

Bon Courage

8:28

 

Neun Jahre hat es gedauert, bis Lambert ein eigenes neues Album veröffentlichte. Nun ist nach „Drachenreise“ von 2014  die CD „Bon Courage“ bei Spheric Music, Lamberts eigenem Label, erschienen, die natürlich auch als Download zu bekommen ist.

Der erste Titel lautet „New Horizon“, und tatsächlich sucht Lambert Ringlage neue Horizonte. Der Track ist für seinen bisherigen Stil in der Instrumentierung eher ungewohnt. Die E-Gitarre spielt eine wichtige Rolle, markante Melodien prägen sich gleich in die Gehörgänge ein, und das Stück wirkt fröhlich-poppig und ist absolut „radiotauglich“. Zudem ist „New Horizon“ ein wunderbarer Aufmacher und stimmt schon gleich zu Beginn von „Bon Courage“ froh und positiv. Mögliche ärgerliche Stimmung wird schnell hinweggefegt. Interessant ist bei „New Horizon“ der Bruch zum Ende des Stückes. Beim folgenden Stück, „Dream Glide“, schüttelt Lambert die nächsten tollen Melodien aus dem Ärmel. 

Auffallend ist die Kürze mancher Stücke der neuen CD von nicht ganz zwei bis etwas mehr als zweieinhalb Minuten. Das sind aber keine Interludien, die lediglich Übergänge von einem längeren Titel zum nächsten sein sollen, sondern hier genügt Lambert diese kurze Zeit, um jeweils ein eigenständiges und abgeschlossenes Musikstück zu schaffen. Für mich beeindruckend gelungen ist das vor allem bei „Deep Cloud“.

Eine echte Überraschung ist „Runguar“. Ein Vokaltrack, bei dem die Stimme nicht als „Instrument“ fungiert, sondern ein Text gesungen wird. Titel und Musik lassen mich an nordische Sagen denken, womit „Runguar“ tatsächlich aber nichts zu tun hat. Selbst die verwendeten Worte entspringen Lamberts eigener Kreativität.

Lambert erfindet mit seinem neuen Album aber das Rad oder sich selbst nicht (nur) neu. Es bleibt Musik von Lambert Ringlage: Sehr melodiös, perlende und regelrecht glitzernde Sequenzen („Fantasy Plays“) sind zu hören, es ist wunderbar instrumentiert, eingängig und wohltuend. Die musikalische Nähe zu Tangerine Dream ist immer wieder herauszuhören, z. B. bei „Chain Of Images“. Insbesondere aber beim 10. Track des Albums, „Fading Memories“. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn für „Fading Memories“ konnte Lambert Johannes Schmoelling, der ein prägendes Mitglied der legendären Formation war, gewinnen . „Fading Memories“ ist ein gemeinsames Stück der beiden Musiker, dem die aktive Rolle Johannes Schmoellings einen eigenen Charakter verleiht. Trotzdem fügen sich die „dahinschwindenden Erinnerungen“ hervorragend in das gesamte Album ein.

Der Titeltrack gehört zu den längeren Stücken auf „Bon Courage“, der das Album auch abschließt. Bei dem Stück gefällt mir besonders, wie Lambert die Möglichkeit der Klang- und Tonhöhenvariation, die elektronische Musikinstrumente bieten, nutzt. Vor allem aber entlässt er die Hörer von „Bon Courage“ mit einem Ohrwurm, den man sich gerne gefallen lässt. Diese Melodie hallt lange im Kopf nach.

Der Anspruch, den Lambert an sein aktuelles Album stellt, ein „Mutmacher und Glücksgeber bei der Bewältigung aller Hochs und Tiefs unseres Lebens“ (Pressetext) zu sein, ist für mich voll erfüllt!

Andreas Pawlowski


Mike Hans Steffl: Calaboose Islands

Veröffentlichung: MHS Music, Juli 2023

1.

Makronisos

8:54

2.

Gyaros

13:30

3.

Asinara

17:48

4.

San Lucas

8:22

5.

Con Dao

7:18

6.

Pianosa

14:08

7.

Alcatraz

4:46

„Calaboose Islands“ sind Gefängnisinseln, und um die geht es auf dem aktuellen Album von Mike Hans Steffl. Sieben Titel, knapp 75 Minuten Laufzeit, jeder Track eine Insel – viel Stoff, ein Thema mit vielen Variationen bzw. sieben verschiedenen Inseln und Gefängnissen.

Mike schreibt dazu, keines der Gefängnisse würde mehr als solches genutzt, die Natur erobert sich ihren Bereich wieder zurück. Unter der friedlichen Oberfläche aber könne man noch immer das erlittene Leid der Gefangenen spüren.

Es geht also durchaus um beides: Schönheit und friedliche Natur, die heute die Inseln beherrschen, auf der einen Seite, Bitterkeit der Vergangenheit auf der anderen Seite. Mike Hans Steffl nutzt die musikalischen Stilmittel für beide Seiten, z. B. Sequenzen oder Melodien als Ausdruck sowohl für erlebtes oder spürbares Leiden in den Gefängnissen der vergangenen Zeiten oder eben für die Insel mit von Pflanzenwuchs überwucherten Gefängnismauern.

In meinen Ohren überwiegt die positive Seite deutlich. Immer wieder aber gibt es Brüche in den Stücken, so dass die bedrückende Atmosphäre und das erlebte Leid der Gefangenen spürbar wird. Mir gefällt auch, dass Mike viele eigene oder auch eigenwillige Klänge verwendet. Vor allem über Atmosphären und Sounds erzählt er von den Calaboose Islands. Wenn der größte Teil der Musik auf diesem Album auch eher positive Gefühle und Eindrücke transportiert, so finden sich doch dunklere Teile. „Asinara“ ist insgesamt etwas düsterer und aggressiver gestaltet als andere Titel. Der Folgetitel „San Lucas“ ist dann musikalisch eher das Gegenteil. „Pianosa“ ist schon ein Ambienttrack und wirkt auf mich sehr „spacig“.

„Alcatraz“ war der für mich einzig bekannte Name, sicherlich dem einen oder anderen Spielfilm US-amerikanischer Herkunft geschuldet. Und dieses Stück ist auch das durchgängig rhythmischste Stück des Albums. Und der einzige Track, bei dem das Gefängnis durch Schritte und schließende Türen erkennbar wird.

„Calaboose Islands“ ist für mein Empfinden ein rundum gelungenes Album, das ich nicht nach einmaligem Hören weglegen würde.

Andreas Pawlowski


Various Artists: BERLIN – A Tribute Album For Mark Shreeve    

VÖ: 02.08.2023, www.bandcamp.com

1.

Redshift

Quenzer: Live in the Studio 2002

11:46

2.

Ode

Inerinnerung

8:22

3.

Radio Massacre International

Anemone (remix)

10:32

4.

Jasun Martz

In Transience

11:59

5.

Oscillator_three

You Trailblazer

9:37

6.

[‘ramp]

To The Bitter End

13:59

7.

Ian Boddy

Memory Lane

7:33

8.

David Wright

Elemmírë

8:29

9.

Ashok Prema

Sailing

5:54

10.

AirSculpture

On Writing

8:20

11.

ARC

Fractured

11:46

12.

The 5th Manikin

Bombshell

12:14

13.

Chuck Van Zyl

Nightshift

11:20

14.

Ron Boots

Where Are They Now?

9:18

15.

Wavestar II

A Call To Arms

5:09

16.

Mark Shreeve

The Battle Files

10:59

Im Spätsommer 2022 ist Mark Shreeve gestorben. Mark war einer der Musiker, die die analoge Technik in der Elektronikmusik hochgehalten hat und mit in seiner Musik unsterblich machte. Das hat er seit den 1980er Jahren unter seinem eigenen Namen, in den Formationen Redshift und ARC und in gemeinsamen Produktionen mit anderen Künstlern unermüdlich getan.

Man mag von Tribute-Alben halten was man will – „BERLIN – A Tribute Album For Mark Shreeve“ ist unbedingt empfehlenswert, aus verschiedensten Gründen. Sechzehn Gründe sind fein säuberlich in der Trackliste des Albums aufgeführt. Ein anderer Grund ist das unglaublich umfassende und umfangreiche Booklet: 43 Seiten, die nicht einfach „nur“ bebildert sind, findet man nicht alle Tage.

Dass die Erlöse aus den Verkäufen von „BERLIN – A Tribute Album For Mark Shreeve“ der Krebsforschung zugute kommen, ist ein weiterer gewichtiger Grund, ein wenig Geld in die Anschaffung zu investieren. Das Album ist als Download über die Plattform Bandcamp zu beziehen (BERLIN - A Tribute Album for Mark Shreeve | Various Artists | BERLIN -A Tribute Album for Mark Shreeve (bandcamp.com)). Soweit mir bekannt ist, gibt es dieses Tribute nicht als CD. Das ist bei gut zweieinhalb Stunden Laufzeit nicht überraschend, doch die schiere Menge an guter Musik stellt ebenfalls einen Kaufgrund dar.

Ungewöhnlich an diesem Tribute-Album ist, dass Mark Shreeve selber Teil davon ist: Je ein titel von Redshift und ARC sowie ein Solotrack sind auf diesem wunderbaren Sampler zu finden. Und einige, vor allem im Bereich der Berliner Schule bekannte Namen sind vertreten: AirSculpture, [‘ramp], Radio Massacre International, Ian Boddy, um nur wenige zu nennen.

Initiiert und vermutlich den größten Anteil am Zustandekommen des Albums hat Marks Bruder Julian, der auch langjähriger musikalischer Partner war. Julian hat sehr, sehr viel Energie und Herzblut in das Album investiert. Das spürt man deutlich bei der Lektüre des Booklets. Es enthält umfangreiche Erinnerungen von Julian Shreeve mit dem gesamten Werdegang des Musikers Mark Shreeve; die komplette Diskographie, alle Liveauftritte werden beschrieben, aufgelistet und mit interessanten Details und persönlichen Anmerkungen aufgewertet. Mir war z. B. neu, dass Mark Shreeve an mehreren Songs von Samantha Fox beteiligt war, auch als Komponist und Keyboarder ihres Hits „Touch Me (I Want Your Body)“! Ein Interview ist im Booklet ebenso nachzulesen wie Erinnerungen und Ehrungen von Familie, Freunden und Musikern. Zu allen Tracks wurden einige Sätze verfasst, und an Fotos mangelt es auch nicht.

Sämtliche Musikstücke sind, wenn nicht besonders für dieses Tribute komponiert und eingespielt, so doch zumindest nie zuvor veröffentlicht. Letzteres gilt natürlich für die Stücke, die von Mark selbst sind. Die einzelnen Tracks sind entweder in Anlehnung an Marks Stil bzw. die von ihm kreierten und gerne eingesetzten Sounds oder in Gedanken an Mark Shreeve als Person, seinen Charakter oder Vorlieben in der Elektronikmusik entstanden. Hier wird klar, wie sehr Marks Schaffen andere Musiker inspiriert und beeinflusst und die Berliner Schule insgesamt geprägt hat. Der Track „To The Bitter End“ erinnert z. B. deutlich an das [‘ramp]-Album aus dem Jahr 2011, an dem Mark beteiligt war.

Wavestar II schaffen es, den unverkennbaren rockigen Stil Marks aus den 1980er Jahren, beispielsweise vom Album „Crash Head“, genau zu treffen. Sehr ungewöhnliche Klänge bieten die Tracks „In Transience“ von Jasun Martz und „Anemone“ von Radio Massacre International.

Die meisten Musikstücke bedienen ganz klar die Berliner Schule. Der Titel von David Wright ist da stilistisch ein „Ausreißer“, was keineswegs negativ auffällt. Mark Shreeves eigener musikalischer Kosmos ist ebenso vielfältig wie dieses Album.

Die Titel von Redshift, ARC und Mark Shreeve solo sind am Anfang, als 11. Track und am Ende von „BERLIN…“ gesetzt. Dadurch bilden sie die perfekte Klammer für die anderen Stücke, die sich dazwischen einfügen. Es wird ein Bogen über alle dazugehörenden Stile gespannt, der bestens funktioniert. Keinen Titel empfinde ich als schwach oder unpassend. Chuck Van Zyl und Ode (drei Viertel von Node) bescheren dem Hörer und der Hörerin ebenso Berliner Schule auf hohem Niveau wie die fünf Recken aus dem Hause Manikin (The 5th Manikin: Bas Broekhuis, Detlef Keller, Michael Menze, Frank Rothe und Mario Schönwälder).

Mit Ashok Prema gibt es einen Ausflug in ambientere Klänge, und AirSculpture wartet mit einer Melodie auf, die im Gedächtnis bleibt. Eine großartige Entscheidung von Julian Shreeve war, die drei Titel „Quenzer“, „Fractured“ und „The Battle Files“ aufzunehmen. „Fractured“ beispielsweise komplettiert das ARC-Konzert in Philadelphia, das mit dem Album „Church“ veröffentlicht wurde, aber nicht in Gänze auf die CD passte. Weitere Musik als Solokünstler und als Redshift zu hören, ist ohnehin immer willkommen.

Auch die anderen Tracks des Tribute-Albums von den hier nicht eigens genannten Musikern sind absolut hörenswert und machen „BERLIN – A Tribute Album For Mark Shreeve“ zu einem wahren Schatz, der unbedingt gehoben werden sollte. – Wie gesagt, es gibt zahlreiche Gründe, das Album in die persönliche Sammlung Elektronischer Musik aufzunehmen.

Andreas Pawlowski


[‘ramp] – arp-en-ciel

VÖ: 02.05.2023

1.

weerlicht

10:57

2.

arp-en-ciel

20:58

3.

the summer of ’88

12:36

4.

chunky cookies carpet ride part one

7:44

5.

chunky cookies carpet ride part two

7:38

6.

chunky cookies carpet ride part three

14:58

7.

arp-en-ciel excerpts

9:15

Noch kein Jahr ist vergangen, seit „Happy Days Are Here To Stay“ erschienen ist, da veröffentlicht Stephen Parsick das nächste [‘ramp]-Album mit dem schönen Titel „arp-en-ciel“.

Eigentlich ist „arp-en-ciel“ nicht das neueste Album von [‘ramp], denn es sollte schon vor einem Jahr erscheinen, als plötzlich Klaus Schulze verstarb. Stephen Parsick, der in seinem musikalischen Schaffen stark von Klaus Schulze beeinflusst wurde, entschloss sich, „arp-en-ciel“ zu verschieben, um nicht auf den Zug der vielen KS-Tributes aufzuspringen. Stattdessen kam zunächst „Happy Days Are Here To Stay“ an die Öffentlichkeit. Ich kann diesen Entschluss bestens nachvollziehen, denn die Einflüsse sind deutlich auszumachen. Es ist aber eben kein KS-Tribute, sondern Parsicks Werk als [‘ramp].

War der Albumtitel „Happy Days Are Here To Stay“ noch reine Ironie und die Musik darauf ein wenig düster, eben „Doombient“, so ist „arp-en-ciel“ eher ein „back to the roots“. Stephen schreibt selber, dass er zur Einfachheit seiner frühen Werke zurück wollte, mal wieder etwas in der Schlichtheit der ersten eigenen Musik schaffen wollte.

Das hier verwendete Wort „schlicht“ sollte man auf keinen Fall mit „simpel“ gleichsetzen. Mit den „schlichten“ Soundscapes nimmt „weerlicht“ (niederländisch für Wetterleuchten) mich jedenfalls gleich gefangen. Die Klänge hüllen ein wie eine wohlige Decke, eher noch wie ein seidenes Tuch, so leicht wirken sie.

Das Titelstück, mit knapp 21 Minuten auch der längste Track des Albums, beginnt zwar, wie „weerlicht“ endet, aber sehr schnell tragen Sequenzen den „Regenbogen“ hinauf. Arc-en-ciel ist das französische Wort für Regenbogen, und da die ARP-Synths die wichtigsten Instrumente auf der ersten Hälfte des Albums sind, entstand das Wortspiel „arp-en-ciel“. Bei diesem Stück kommt man schnell ins Schwärmen; Berliner-Schule-Freunde dürften ihre helle Freude daran haben.

Von anderer Art ist die zweite Hälfte der CD mit dem bemerkenswerten Titel „chunky cookies carpet ride“. Teil 1 wurde auch bereits vor 23 Jahren aufgenommen. Es ist gemeinsam mit Klaus Hoffmann-Hoock (Cosmic Hoffmann) in dessen Quasar-Studio in Sonsbeck entstanden. Das dreiteilige Werk ist in part one und part two herrlichste Ambientmusik - wie sie eben auch Cosmic Hoffmann geschaffen hat. Stephen Parsick hat derartiges auf seinem wunderschönen Album „Hoellenengel“ ebenfalls zu Gehör gebracht. Dass mich die „chunky cookies“ an „Hoellenengel“ erinnern, ist nach einem Blick auf das CD-Cover gar nicht verwunderlich. „Hoellenengel“ ist im Anschluss an die Aufnahmen zu „chunky cookies carpet ride part one“ ab November 2000 entstanden. - Der Ambientcharakter wird in Teil drei wieder von großartigen Sequenzersounds überlagert, bis sehr schöne melodiöse Mellotronklänge in den Vordergrund drängen.

Die CD beinhaltet die beschriebenen sechs Musikstücke. Kauft man das Album als Downloadversion, gibt es ein siebtes Stück: „arp-en-ciel excerpts” - gute neun Minuten Ausschnitte zu einem Track zusammengesetzt, der bei Bandcamp auch als “Teaser” schon im Vorfeld zu hören war.

Ich muss sagen, das neue [‘ramp]-Album „arp-en-ciel“ ist wieder ganz großes Kino. Auf Stephen Parsick ist Verlass.

Andreas Pawlowski


Pete Farn: Grainscapes Vol. 1 

Veröffentlichung: SynGate, 2023

1.

Twilight Forrest

25:07

2.

The Hive

5:50

3.

A Grainy Summerday

30:01

Was ist elektronische Musik? – Diese Frage ist nicht abwegig, wenn man sich die Werke von Pete Farn anhört. Elektronische Klangerzeugung ist das eine. Auf der anderen Seite kann man auch fragen: Muss es bei der EM immer um Melodie, Rhythmus, Sequenzen gehen? Sicherlich nicht. Gerade die Elektronikmusik bietet ja die vielfältigsten Möglichkeiten. Oft genügen Klänge, Klangstrukturen oder „Soundscapes“, um Hörerinnen und Hörer zu berühren oder anzurühren. Ob etwas gefällt, ist ohnehin eine Frage, die man nur für sich selbst beantworten kann. Manche EM-Produktion will womöglich gar nicht „gefallen“. Ich würde auch nicht behaupten wollen, dass ich „Grainscapes Vol. 1“ von Pete Farn im herkömmlichen Sinn „schön“ finde. Dafür sind die drei Stücke viel zu experimentell. Das Album betrachte ich eher als klangliches Abenteuer.

Das Besondere an „Grainscapes“ ist zunächst einmal die Entstehung dieser Klänge. Ich musste mir mangels Kenntnis erst ein paar Informationen darüber suchen, was „Grains“ bzw. granulare Synthese ist. Sehr vereinfacht kann man vielleicht sagen, dass bei der granularen Synthese Klänge in winzige Teile oder Abschnitte zerlegt werden, die bis wenige Millisekunden kurz sind, um dann wieder neu zusammengesetzt zu werden. Dadurch erzeugt man völlig neue Klänge, aus denen der ursprüngliche Sound möglicherweise kaum noch zu erkennen ist.

Für mich als jemanden, der sich elektronische Musik anhört, ist die Entstehung aber nicht das Wichtigste. Entscheidend ist, was dabei bzw. was aus den Lautsprechern herauskommt. Und ja, was von Pete Farn erklingt, ist „seltsam und experimentell“, wie bei SynGate zu lesen ist. Und zugegebenermaßen ist das auch keine leichte Kost, aber bestimmt nicht unbekömmlich. Melodien? – Fehlanzeige. Rhythmen? – Ja, in seltenen Fällen für eine Zeit lang. Faszinierende Sounds? – Unbedingt.

So seltsam und fremdartig die Sounds auch sind, die Peter Schaefer unter seinem Künstlernamen Pete Farn für sein Album geschaffen hat, sie können doch Bilder vor meinem geistigen Auge aufrufen. Ich sehe zum Beispiel Nebelschwaden, die durch den „Twilight Forrest“ ziehen (wobei mir die Schreibweise des Forest mit zwei „r“ etwas rätselhaft ist), merkwürdige Kreaturen im Unterholz, Vögel, die aufgescheucht werden. Auch in „A Grainy Summerday“ tauchen Bilder auf. Am greifbarsten aber finde ich den kurzen Track „The Hive“: Beim Hören dieses Stückes kann ich mir tatsächlich das Treiben vor oder in einem Bienenstock vorstellen – in Nahaufnahme und Zeitlupe.

Ich weiß nicht, woran es liegt, aber die Klangwelt von „Grainscapes Vol. 1“ fesselt mich. Vielleicht ist es schon die Faszination, die elektronische Klänge auf mich ausüben. Jedenfalls kann ich mir dieses Album gut anhören, und mit der Zeit werden die Klänge auch vertrauter. – Je öfter ich Pete Farns Grainscapes höre, desto faszinierender wird das Album. Musik, die Aufmerksamkeit und Zeit erfordert und sich nicht zur Berieselung eignet. Ich meine, es lohnt sich allemal, diesen Klängen Zeit und Aufmerksamkeit zu widmen.

Andreas Pawlowski


11.3.2023 - Otarion - Logos

Veröffentlichung: MellowJet, 2023

1.

Announcement Of The Savior

9'21

2.

Birth Of The Lord

4'03

3.

John The Baptist And The Baptism Of Jesus

3'10

4.

Temptation In The Desert

7'24

5.

The Spirit Of The Lord Is Upon Me

3'53

6.

The Transfiguration

7'25

7.

Jesus Prayer

5'30

8.

Exaltation On The Cross

9'07

9.

Sheol

2'45

10.

Resurrection Of Jesus Christ

7'26

11.

The Ascension

4'49

12.

Pentecost

8'42

Ein tolles Cover macht mich gleich neugierig auf das neue Album von Otarion: Ein lichtdurchfluteter Wolkenhimmel, darin der Schriftzug Otarion mit den markanten Buchstaben, und in deutlich größerer Schrift das griechische Wort Logos, sinnigerweise auch in griechischen Buchstaben geschrieben. Das Coverbild erinnert mich an Gemälde, auf denen der Himmel als Wohnung Gottes dargestellt wurde, als Ursprung alles Seins.

Rainer Klein, wie Otarion tatsächlich heißt, veröffentlicht schon seit etlichen Jahren Musik auch mit biblischem und christlichem Bezug. Meist dreht sich dann ein ganzes Album um ein bestimmtes Thema der Bibel. Vor zehn Jahren, 2013, erschien „Out Of Eden“, die beiden letzten Alben vor „Logos“ befassten sich mit der Erzählung um Jona (Altes Testament). „Logos“ nun thematisiert den Kern des christlichen Glaubens: Das menschgewordene Wort Gottes, Jesus Christus. Der Beginn des Johannes-Evangeliums beschreibt das mit wunderschönen Sätzen. Otarion illustriert musikalisch das gesamte Geschehen von der Verkündigung über die Geburt Jesu, die Taufe durch Johannes, Verklärung, Kreuzigung, Abstieg in das Reich des Todes („Sheol“), Auferstehung und Himmelfahrt bis zum Pfingstereignis.

Man kann „Logos“ auch völlig losgelöst von den Titeln und dem biblischen Ursprung hören. Man muss auch kein gläubiger Mensch sein, um die Musik zu genießen. Rainer Klein hat erneut ein Werk vorgelegt, das ein wahres Feuerwerk an kraftvollen, rockigen und melodiösen Tracks abbrennt.

Die klassischen Instrumente der Rockmusik kommen in Otarions Musik zum Tragen: Schlagzeug, Bass, E-Gitarre. Mit vielschichtigen Synthesizern - manchmal sind auch Orgelsounds wie im Progressive Rock zu hören - kreiert Rainer Klein seinen Klangkosmos.

Einige Stücke beginnen eher ruhig und verhalten, entwickeln sich aber auch zu druckvollen musikalischen Perlen. Besonders gut gefällt mir „The Transfiguration“ mit großartiger Instrumentierung, sehr schöner Melodieführung und spannender Entwicklung des Stücks. Manchmal, wie z. B. bei „The Spirit Of The Lord Is Upon Me“ oder „Sheol“, bleibt es bei ruhigen Klängen. 

Wenn ich mir die einzelnen Titel anschaue, dann sind diese für mich musikalisch absolut nachvollziehbar. Da sind beispielsweise die Versuchungen („Temptation In The Desert“) mit düsterem Rock dargestellt. Wenn Jesus betet, also mit seinem Vater spricht („Jesus Prayer“), wirkt die Musik intim. „Exaltation On The Cross“ hat musikalisch harte Stellen, die den Schmerz, aber auch die Verzweiflung deutlich machen. Passenderweise wird „Resurrection Of Jesus Christ“ regelrecht zur Hymne. „The Ascension“ (Himmelfahrt) wirkt auf mich sphärisch und erhebend, und „Pentecost“ (Pfingsten) ist sehr abwechslungsreich mit ruhigen und aufwühlenden und antreibenden Passagen. So haben sich vielleicht auch die Menschen beim Pfingstereignis gefühlt, wie es in der Apostelgeschichte beschrieben wird.

Wie auch immer man an die Musik auf „Logos“ herangeht, ob man den Titeln und der Intention etwas abgewinnen kann oder nicht - hier haben wir ein großartiges Otarion-Album, das ich jeder Freundin und jedem Freund von kraftvoller EM wärmstens empfehlen kann.

Andreas Pawlowski


7.3.2023 - Peter Mergener - New Horizons

Veröffentlichung: Spheric Music, 2023

1.

Discovery

6'58

2.

Spaceshuttle

5'47

3

Surroundings

3'45

4.

Kosmonaut

8'32

5.

Heart Of Space

3'34

6.

Hycean Planet

7'58

7.

New Horizons

7'20

8.

Ignition

9'16

9.

Mission Control

3'03

Ein „klassischer“ Auftakt: Funksprüche aus der Raumfahrt. Die werden in der nächsten knappen Stunde, die das neueste Album „New Horizons“ von Peter Mergener läuft, noch öfter zu hören sein. 

Das ganze Album dreht sich um Raumfahrt, und zwar durchaus verbindend, denn da ist die amerikanische ebenso vertreten wie die sowjetische. Titel wie „Kosmonaut“, „Spaceshuttle“, „Discovery“ und „Mission Control“ machen das inklusive Funkverkehr in englischer und russischer Sprache deutlich. Die Verbindung gelingt bestens durch Peter Mergeners Musik. 

Sonderlich „kosmisch“ wirkt Peters neues Album nicht auf mich. Das ist auch nicht sein vordringlicher Stil. Mit „Surroundings“, „Heart Of Space“ und dem Titelstück „New Horizons“ sind zwar atmosphärische, schwebende Musikstücke vertreten, „Discovery“ und „Kosmonaut“ kommen aber vergleichsweise rhythmusbetont und flott aus den Lautsprechern. Typische Mergener-Sequenzen wie beispielsweise in „Hycean Planet“ lassen mich immer dahinschmelzen, ebenso gefällt mir die „weich“ klingende Sequenz in „Spaceshuttle“ sehr gut.

Der Titeltrack „New Horizons“ ist überhaupt ein Paradebeispiel dafür, wie Peter Mergener seine Hörer wegdriften lassen kann: Soundscapes, Sequenzer, Atmosphäre - da stimmt alles, und man hat das Rüstzeug, um sich auf eine innere Reise zu neuen Horizonten zu machen. „Ignition“ (Zündung) holt die Hörer etwas abrupt wieder zurück, um auf eine weniger träumerische Reise mitzunehmen.

„Ignition“ lässt mich auf diesem Album noch mit am meisten an die frühen Veröffentlichungen von Peter Mergener denken. Aufbau, Melodie und Sequenzen schlagen in meinem Kopf eine Verbindung in die Vergangenheit. Damit meine ich nicht, dass dieses Stück veraltet klingen würde. Nein, es zeigt mir vielmehr, dass die Musik zeitlos gelungen ist, dass es Konstanten gibt, die auch in 2023 gültig sind und Peters Musik erkennbar und qualitativ hochwertig bleibt.

„New Horizons“ ist meiner Meinung nach ein rundum gelungenes Album geworden. Es ist melodiös, harmonisch, bietet Abwechslung, und ist doch aus einem Guss.

Andreas Pawlowski


7.3.2023 - David Rothenberg, Bernhard Wöstheinrich, Ali Sayah - Homayoun

Veröffentlichung: Iapetus Media, 2023

1.

Unfacts

8'10

2.

Blesswarp

8'22

3.

Homayoun

16'33

4.

Compline

15'49

5.

Surmount

17'25

Bernhard Wöstheinrich ist unter den Elektronikmusikern, die mir bekannt sind, einer der kontakt- und experimentierfreudigsten. Mit den unterschiedlichsten Künstlern hat er schon zusammengearbeitet. Das Album „Homayoun“ hat er gemeinsam mit dem amerikanischen Musiker und Philosophen David Rothenberg und Ali Sayah, Berliner mit iranischen Wurzeln, produziert. David Rothenberg ist im Oeuvre von Bernhard Wöstheinrich bereits ein „alter Bekannter“, Ali Sayah dagegen meines Wissens nach zum ersten Mal dabei.

Der Albumtitel ist erklärungsbedürftig. „Homayoun“ ist laut Wikipedia persisch für Glück oder glückverheißend und „als ursprünglicher Melodie-Titel die Bezeichnung eines musikalischen Modus im Dastgah-System“. Dastgah wiederum „ist ein unter anderem durch seine Tonabstände (Intervalle der zugrundeliegenden Tonleiter) charakterisiertes modales System in der traditionellen persischen Kunstmusik“. (Quelle: ebenfalls Wikipedia.)

Sehr ungewöhnlich für elektronische Musik sind auf „Homayoun“ die Instrumente. Ali Sayah spielt Bass (nicht ganz so ungewöhnlich) und Tar (sehr ungewöhnlich), David Rothenberg Klarinette und Bassklarinette (ebenfalls sehr ungewöhnlich), Bernhard Wöstheinrich bedient natürlich die elektronischen Instrumente (gar nicht ungewöhnlich). Diese Kombination bringt äußerst ungewohnte Klänge hervor, insbesondere, weil über weite Strecken die akustischen Instrumente im Vordergrund sind. Die Eigenständigkeit, die Bernhard Wöstheinrichs Musik im Allgemeinen schon auszeichnet, fehlt auf „Homayoun“ nicht, erreicht durch die Zusammenarbeit der drei Musiker aber eine neue Ausrichtung.

Die Klarinetten David Rothenbergs, was und wie er spielt, würde ich sonst eher im Jazz erwarten. Aber das passt eben auch zur EM. Die Tar, eine Langhalslaute, ist in den Stücken „Homayoun“ und „Surmount“ zu hören und gibt den Tracks einen Touch von Weltmusik. Auch der von Ali Sayah auf „Blesswarp“ gespielte Bass verleiht dem Stück eine eigene Note und macht sich sehr gut in dem Track. Mir wäre nicht bewusst, dass Bernhard Wöstheinrich häufiger auf seinen Alben ein Klavier einsetzt. Auf dem neuen Album „Homayoun“ spielt er in mehreren Stücken das Piano, und auch das ist sehr stimmig.

Ich finde es spannend, wie im Eröffnungstitel „Unfacts“ das scheinbar willkürliche Spiel der Musiker im Verlauf immer mehr zusammengeht und harmoniert. „Blesswarp“ wirkt deutlich „strukturierter“, woran Ali Sayahs Bassgitarre und die von Bernhard Wöstheinrich gespielten Rhythmen großen Anteil haben. Nach dem Titelstück, das vor allem durch die Tar fremd für mitteleuropäische Ohren klingt, beginnt „Compline“ mit den harmonischen Klavierakkorden recht vertraut. „Surmount“, der Abschlusstitel, ist in der ersten Hälfte stellenweise wie das große Finale, wenn die drei Musiker sich „hochschaukeln“. Am Ende gibt es aber keinen Paukenschlag, das Stück hat stattdessen einen sehr langen Ausklang, wie wenn die Musiker sich aus dem Stück verabschieden – und plötzlich ist es vorbei.

Es gibt in der Elektronikszene Musik, die man sich regelrecht erarbeiten muss, um ihr etwas abzugewinnen. „Homayoun“ von Rothenberg / Wöstheinrich / Sayah zähle ich nicht dazu. Das Album ist keine „schwere Kost“. So ungewohnt die Instrumente und Klänge auch sind - wer sich mit Neugier und offenen Ohren diesem Album widmet, entdeckt sicherlich neue musikalische Welten. Natürlich bleibt alles auch immer Geschmackssache. Ich für meinen Teil bin jedenfalls immer wieder überrascht, welche Vielfalt in der EM möglich ist. Und das ist etwas, was ich nicht missen möchte: Neues entdecken, unerwartete Kollaborationen, überraschende Klänge und Einflüsse - Bernhard Wöstheinrich und seine Mitstreiter sind dafür immer eine gute Adresse.

Andreas Pawlowski


12.2.2023 - Robert Schroeder - Floating Music (Edition 2023)

Veröffentlichung: Spheric Music, 2023

1.

Floating Music

9'09

2.

Divine My Future

5'09

3.

Pastime

4'12

4.

Visions

3'54

5.

Meditation For The Next Part

1'10

6.

Out Of Control

1'54

7.

Shadows In The Night

6'59

8.

Rotary Motion

3'27

9.

Floating In Slow Motion

23'09

Ich gebe zu, bis vor kurzem kannte ich das Album „Floating Music“ von Robert Schröder nicht. Am 1. Januar 2023 erschien das Album als „Floating Music EDITION 2023“ bei Spheric Music neu, und Robert Schröder schreibt sich nun Schroeder, wie auch bei allen anderen Veröffentlichungen, die nach der Zeit bei Klaus Schulzes Label IC herauskamen. Eine gute Gelegenheit also, wieder in die Vergangenheit einzutauchen, denn zuerst veröffentlicht wurde „Floating Music“ im Jahr 1980. 

Immerhin besitze ich u. a das Schrödersche Debütalbum „Harmonic Ascendant“. Und ich finde, dass das Titelstück „Floating Music“ musikalisch unmittelbar an das vorangegangene Album anschließt. Nach gut drei Minuten setzen jedoch Drums ein und damit wird eine deutlich kraftvollere Gangart eingeschlagen. Stil und Struktur des Stückes bleiben aber noch nahe bei „Harmonic Ascendant“.

Selbstverständlich ist „Floating Music“ kein Abklatsch des Vorgängeralbums, sondern eine Weiterentwicklung. Es tauchen Sounds auf, die auch auf späteren Alben von Robert Schroeder zu hören und sicherlich seine eigenen Kreationen sind. Schließlich hat der Mann auch selber Synthesizer gebaut. Aber es sind ebenso eine Reihe von Klängen und Kunstgriffen in den Stücken zu entdecken, die an Klaus Schulze zumindest stark erinnern. Das muss nicht verwundern, denn Klaus Schulze hat das Album damals produziert. „Floating Music“ ist ein melodiöses Album mit Ausflügen in sphärische Klangschaften. Breiten Raum nehmen natürlich auch Sequenzen ein. Die Tracks sind kürzer geworden als beim Debüt, sogar bis unter zwei Minuten.

Die „Edition 2023“ bietet einen deutlichen Mehrwert gegenüber dem Original, nämlich den 23minütigen Bonustitel „Floating In Slow Motion“. Der Titel ist Programm: in vielen Teilen fließt die Musik ruhig dahin. Motive aus anderen Stücken des Albums werden in diesem langen Track wieder aufgegriffen.

Es handelt sich also auch insgesamt um ein abwechslungsreiches Album, bei dem die musikalischen Veränderungen recht schnell erfolgen. Das „Floating“ wird jedoch damit nicht gestört, die Übergänge sind immer gelungen.

Wenn man bedenkt, dass die Edition 2023 nun auf 59 Minuten Laufzeit kommt, ist die Originalfassung von 1980 mit ihren 36 Minuten sehr kurz, zumindest nach heutigen Maßstäben.

Was ich aber besonders hervorheben möchte: Das Album „Floating Music“ hat die Zeit gut überstanden. Es klingt auch mehr als 40 Jahre nach der Erstveröffentlichung kein bisschen veraltet. Man kann also, ob das Originalalbum die eigene EM-Sammlung ziert oder nicht, unbedingt zugreifen und den Fundus mit „Floating Music Edition 2023“ bereichern.

Andreas Pawlowski


3.1.2023 - [‘ramp] – Happy Days Are Here To Stay

Veröffentlichung: 29.08.2022

1.

The Last Thing He Heard

7:27

2.

Future Looming Behind Us

14:10

3.

Mourning Glory

5:22

4.

Fomalhaut

11:17

5.

Happy Days Are Here To Stay

13:16

6.

All Is Lost

8:18

7.

Capsized

6:34

8.

Shipwrecked

6:43

„Happy Days Are Here To Stay“ der Albumtitel und [‘ramp], also Stephen Parsick, der Interpret – passt das zusammen? Das Coverbild, eine Schwarz-Weiß-Aufnahme der Skulptur „Mutter mit totem Sohn“ von Käthe Kollwitz im Mahnmal „Neue Wache“ in Berlin, lässt nicht gerade auf fröhlich-ausgelassene Musik schließen. Man sollte sich nicht vom Albumtitel in die Irre führen lassen, vielleicht ist er pure Ironie. „Happy“ wirken die Stücke auf dem 2022er-Album von [‘ramp] jedenfalls ganz und gar nicht. Das sollte aber niemanden entmutigen, sich auf „Happy Days Are Here To Stay“ einzulassen, denn es lohnt sich!

Die CD beginnt schon mit einer markanten Melodie, die Stephen Parsick dem Mellotron entlockt. Diese Flötenklänge ziehen sich durch mehrere Titel des Albums. Auch der zweite Track, „Future Looming Behind Us“ wird vom Mellotron dominiert, und ebenso vom Sequenzer, der sich leise hineinschleicht. Dieses Stück mit seiner Rhythmik und Bewegtheit ist auch die Ausnahme auf dem ansonsten ruhigen, introspektiv wirkenden Werk.

Die nächsten zwei Titel sind bestimmten Personen gewidmet, deren Vornamen genannt sind. „Mourning Glory“ ist für Edgar, und da kann es sich nur um den verstorbenen Edgar Froese handeln. Mit dem Gedanken im Hinterkopf klingt „Mourning Glory“ wie ein trauriges TD-Stück.

In den letzten Jahren sind viele der ganz Großen der Elektronikmusik von uns gegangen. Die Verluste wirken auf diesem [‘ramp]-Album nach. Doch trotz ihrer zeitweisen Traurigkeit ist die Musik von einer unfassbaren Schönheit, die mir die Tränen in die Augen treibt. Das beste Beispiel ist hier sicher das vierte Stück, „Fomalhaut“, mit seiner wunderschönen Melodie. Wenn man dann liest, dass dieses Stück für Klaus ist, denkt man vermutlich an den am 26.04.2022 verstorbenen Klaus Schulze. Doch Stephens Text zum Album auf seiner Bandcampseite (www.ramp1.bandcamp.com) nennt ganz klar den schmerzlich vermissten Cosmic Hoffmann, Klaus Hoffmann-Hoock, der bereits 2017 starb. Das Stück wird also eher Klaus Hoffmann-Hoock gewidmet sein. Im Übrigen musste ich den Titel „Fomalhaut“ recherchieren, denn das Wort fand ich seltsam. Das Wort Fomalhaut ist arabischen Ursprungs, wird ganz sicher nicht ausgesprochen wie geschrieben, bedeutet „Maul des Fisches“ und benennt den hellsten Stern im Sternbild Fische. 

Das Titelstück „Happy Days Are Here To Stay“ ist mit seiner düsteren Atmosphäre und dem langsam „pumpenden“ Sequenzer eigentlich das Gegenteil seines Namens. Das folgende „All Is Lost“, ein wunderschönes, fast minimalistisch instrumentiertes Ambientstück, wirkt dann schon wieder keineswegs so hoffnungslos, wie der Titel vermuten lassen könnte. 

Solcherart widerstreitende Gefühle werden auch mit den folgenden beiden Titeln befördert. Zu Beginn von „Capsized“ („gekentert“) kann man sich tatsächlich wie ein Ertrinkender nach dem Kentern fühlen. Aber die Zuversicht geht nicht verloren. Das Stück endet wie mit dem Gefühl des Auftauchens und mit Boden unter den Füßen. Das wird wiederum konterkariert durch den Schlusstitel „Shipwrecked“, der den Hörer mit einer Ungewissheit entläßt, die irgendeiner Auflösung bedarf.

Mit der Musik von „Happy Days Are Here To Stay“ möchte man alleine und ungestört sein. Sie wirkt meditativ und lässt tief in sich selbst hineinschauen. Diese Musik entführt mich nicht in die Weiten des Alls oder ähnliches, nein, hier geht es direkt in die Tiefen meiner Selbst.

Meiner Meinung nach gehört Musik von [‘ramp] zum Faszinierendsten, was EM zu bieten hat.

Andreas Pawlowski 


20.11.2022 - mypan: mixta caseo patina

Veröffentlichung: Syngate, 2022

1.

the sudden collapse of the circle

2'24

2.

somnum

6'30

3

white and the black point

5'25

4.

scottish dance with wooden spoon in the hand

3'36

5.

laponica noodle pulmenti

3'22

6.

weichspüler

4'38

7.

orange and the green triangle

4'00

8.

echoes from stephenson 2-18

16'58

Nach vier Jahren ein neues Album von Michael Stehl alias mypan - was für eine erfreuliche Überraschung! Das Album namens „mixta caseo patina“ ist auch gleich zu erkennen, denn das Cover ist wie bei seinem Debüt „perpetuum musica momentum“ gestaltet, und eben auch bei SynGate erschienen.

Der Albumtitel „mixta caseo patina“ heißt übersetzt gemischte Käseplatte - was ich schon mal richtig witzig für einen Titel halte. Und so entsteht, wie Michael Stehl im Inlet selber über sich schreibt, die Musik: „kein Konzept, sondern einfach loslegen und schauen was passiert.“ Das nicht vorhandene Konzept geht in meinen Ohren tatsächlich auf. Beim ersten Titel dachte ich, Michael sei unter die Konzertmeister gegangen: Ein kurzes, aber wuchtiges Stück für großes Orchester! „Somnum“ ist dagegen wesentlich zurückhaltender und „traditionell“ elektronischer mit Sequenzen und vangelisartiger Melodie und Instrumentierung.

So gemischt geht es weiter, sowohl musikalisch, als auch in der Betitelung der Stücke: „white and the black point“, „scottish dance with wooden spoon in the hand“, „orange and the green triangle“ oder auch „weichspüler“. Ein Musiker mit Humor, ohne Zweifel. Bei dem „scottish dance“ weiß man auch schon gleich, was einen erwartet. Und es klingt sehr gut!

Die CD hat mit 47 Minuten eine ungewohnt kurze Laufzeit, wobei die völlig in Ordnung geht. EM-Freunde sind, was Laufzeiten von Alben angeht, sicher mittlerweile ziemlich verwöhnt. Aber mir ist ein „kurzes“ Album wesentlich lieber als eines mit unnötigem Füllmaterial und langer Laufzeit.

Die Möglichkeiten elektronischer Instrumente hat mypan breit gefächert genutzt. „laponica noodle pulmenti“ ist dafür ein gutes Beispiel, vor allem im Kontrast zum Album-Opener „the sudden collapse of the circle“.

Eine absolute Kuriosität ist der Track „weichspüler“. Böse könnte man sagen, das Stück klingt tatsächlich weichgespült, aber da bin ich sicherlich auch durch den Titel beeinflusst. Was mich mehr als überrascht hat bei dem Stück ist der gesprochene Text und die Art und Weise wie er klingt. Dabei geht es um ... - nein, das verrate ich hier lieber nicht. Ich weiß nicht so recht, ob ich das Ganze ernst nehmen soll. Nun, Michael bezeichnet sich als Menschen mit Humor und Phantasie - ich habe beim Hören von „weichspüler“ nach den ersten Lachanfällen jedenfalls immer wieder ein Grinsen im Gesicht.

Das letzte Stück auf „mixta caseo patina“ ist mit knapp 17 Minuten das mit Abstand längste. Zum Titel musste ich erst einmal das Internet bemühen, denn „echoes from stephenson 2-18“ sagte mir nichts. Wer ist Stephenson? Es klärte sich schnell, dass „Stephenson 2-18“ ein sogenannter „roter Überriese“ ist, ein „sehr ausgedehnter Stern, der am Ende seiner Entwicklung angelangt ist“ (Zitat Wikipedia).

Dieser Titel ist in sich schon eine gemischte Platte, denn er besteht aus vielen Teilen, die aber bestens zusammen passen. Zu Beginn haben wir kosmische Musik mit einem tiefen Basston. Nach zwei Minuten wird es plötzlich wie eine Fortsetzung von „perpetuum sensum part 1“ vom Vorgängeralbum, und ich fühlte mich aufs Neue an das Penguin Café Orchestra erinnert. Ein regelrechter „Cut“ führt dann in perlende Sequenzerkaskaden, ambiente Sounds leiten in das lang ausklingende Ende über, das wiederum kosmisch wirkt. Der tiefe Basston vom Beginn taucht, diesmal pulsierend, wieder auf. Und es gibt immer zu vorhergehenden Teilen einzelne verbindende Elemente. - Ein wunderschönes Stück und toller Abschluss.

Auch wenn es wieder lange dauern sollte, bis ein drittes mypan-Album erscheint - darauf warte ich gerne, weil Michael Stehl einfach schöne und eigenständige Musik schafft. Und bis dahin gibt es mit den zwei bisherigen Alben angenehmen Zeitvertreib.

Andreas Pawlowski


17.11.2022 - Various Artists: schallplatte 25 - Zeitenwende

Veröffentlichung: schallwende e.V., September 2022

1.

Go Back To Start

Spectral Tune (Erik Matheisen

5'14

2.

Fractal Nutation

VoLt (Michael Shipway & Steve Smith)

7'01

3

Weather Forecast: Here Comes The Sun

Synchronized (Francois ten Have)

4'59

4.

Alien Discussions

Tonal Assembly (Dr. Taede Smedes)

5'57

5.

Turning Point

WEGA (Alexander Hardt)

6'39

6.

Silberstreif

Talking To Ghosts (Stefan Schulz)  

5'24

7.

Zeit Wände

Stan Dart (Richard Hasiba)

5'43

8.

Time Is Running Out

Klang Raum Wort (Bernd Braun)

7'02

9.

Die Zeit

Rudolf Heimann

4'32

10.

wENDeZEITen

Changing Images (Volker Kuhn & Martin Kornberger)

6'50

11.

Crossing Time On Devil’s Bridge

Pergamoon (Laszlo Kovacs)

7'50

12.

End Of An Era

Däcker (Peter Dekker)

6'59

13.

Era

Saiowa (Christian Meier)

4'40

Um Missverständnissen vorzubeugen, schicke ich gleich den Hinweis vorneweg, dass ich selbst zur Jury für die Auswahl der schallplatte 25 gehöre. Trotzdem erlaube ich mir, einige Sätze zu dieser schon so viele Jahre erscheinenden Kostbarkeit namens schallplatte zu Papier zu bringen.

Es ist immer wieder eine Freude, von so vielen Einsendungen verschiedenster Musiker/-innen, Bands oder Projekten zu erfahren, was die Bedeutung der schallplatte in der EM-Szene unterstreicht. Wichtig finde ich, dass regelmäßig neue Namen dabei auftauchen, denn es ist ja ein Hauptanliegen von schallwende, neue Musikerinnen und Musiker zu fördern. Auch diese 25. Ausgabe der schallplatte bietet bisher unbekannte Künstler auf. Dass auch „alte Hasen“ wie Erik Matheisen mit von der Partie sind, freut den Rezensenten besonders.

Das musikgeschichtlich Jahrhunderte umspannende Cover von Udo Passenberg gefällt mir wieder ausnehmend gut. Das Thema „Zeitenwende“, das von den zur schallplatte beitragenden Künstlern sicher unterschiedlich interpretiert wurde, ist in vielen Titeln gut zu erkennen. Die Künstler selbst haben zu ihrer Musik Informationen geliefert, die auf der Webseite www.schallwen.de nachzulesen sind.

Die 25. schallplatte steht unter dem Thema „Zeitenwende“, und das Thema ist für mich in den meisten Tracks auch zu hören oder zu spüren. Wobei es durchaus große Unterschiede gibt, worauf die Künstler diesen Begriff beziehen. Manchmal ist es die aktuelle Lage in unserer Welt, manchmal persönliche Belange oder der Begriff wird auch musikalisch verstanden.

Ich greife ein paar Titel aus dem bunten Strauß auf der „Zeitenwende“ heraus, denn die Informationen auf der schallwende-Seite sind ja ausführlich. Und einige Stücke bzw. Musiker sprechen für sich und bedürfen nicht vieler Worte meinerseits. Zum Beispiel „Fractal Nutation“ von VoLt. Die beiden Briten sind ja Dauergäste bei den schallplatten. Kein Wunder, gehören sie doch in die allererste Garde der EM-Schaffenden, was sie auch mit diesem hoffnungsfrohen und melodiösen Track beweisen.

WEGA dagegen war mir bisher unbekannt. Mit „Turning Point“ liefert der Musiker Alexander Hardt ein tolles Stück, das im Gedächtnis bleibt. Mit wenigen Mitteln bzw. nur kurzen Melodielinien erzielt er große Wirkung. Ebenfalls neu war für mich Laszlo Kovacs aus Ungarn, der unter dem Namen Pergamoon auf der sp 25 vertreten ist. Sein Titel „Crossing Time On Devil’s Bridge“ gefällt mir sehr gut und die Beschreibung zu seinem Stück ist aufschlussreich und in der Musik bestens nachzuvollziehen.

Aus den Niederlanden kamen auch wieder einige schöne Tracks. Tonal Assembly ist mit „Alien Discussions“ vertreten, zu dem Taede Smedes von Diskussionen über mögliches außerirdisches Leben inspiriert wurde. Es sind also keine Aliens zu hören, dafür sehr zugängliche EM mit interessanten Sounds, rhythmisch und mitreißend. Ein weiterer aus unserem Nachbarland stammender Musiker ist Francois ten Have, besser bekannt als Synchronized, der scheinbar ein Abo auf die schallplatten hat. Das muss an der Qualität seiner Musik liegen ... Sein Beitrag zur sp 25 heißt „Weather Forecast: Here Comes The Sun“ und ist ebenfalls sehr positiv gestimmt - keine Spur von Sorgen. Den Titel hätte man auch als subtile Anspielung oder Warnung vor dem Klimawandel verstehen können. Warum gibt es von Synchronized eigentlich bisher nur das Album „Galaxy“ aus dem Jahr 2017? Da darf gerne ein Nachfolger her. Schön, dass wir ihn zumindest auf den schallplatten immer wieder dabei haben.

Däcker - der dritte Niederländer. Peter Dekker hat mit „End Of An Era“ eine Hymne geschaffen! Er beschreibt damit eine persönliche bzw. musikalische Zeitenwende, und das Stück hat einen völlig anderen Charakter als aktuell von Däcker gehörte Musik, wie z. B. beim Grillfest oder E-Day geboten. Seine eigene Beschreibung des Stückes passt entsprechend gut.

Beim Titel 6 beginnt die Musik tatsächlich sanft wie ein „Silberstreif“. Stefan Schulz (Talking To Ghosts) entwickelt diesen Silberstreif wie einen Sonnenaufgang. Wie Stefan schreibt, waren die Anfänge des Tracks eher düster und spiegelten Ängste wider. Dass es aber auch in den dunkelsten Zeiten und Gedanken immer wieder Hoffnung gibt, zeigt sein Stück auf beeindruckende Weise.

Den Abschluss der 25. schallplatte bildet das Stück „Era“ von Saiowa. Christian Meiers Thema sind hier die Änderungen, die die Zeit mit sich bringt. Ich kann seine Beschreibung zwar nicht unmittelbar nachvollziehen - aber „Era“ ist ein wunderschönes Stück mit einer tollen Melodie, die einen nicht loslässt und die gesamte schallplatte lange nachklingen lässt.

Mit Changing Images taucht ein lange nicht gehörter Name wieder auf. Es ist schön, die beiden Musiker Volker Kuhn und Martin Kornberger wieder gemeinsam zu hören, denn das letzte Album von Changing Images ist, wenn ich mich nicht täusche, 1999 erschienen. Ihr Stück „wENDeZEITen“ umfasst die großen Bereiche Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Ich musste zu Beginn des Titels aber gleich an die Aggressivität denken, mit der der Krieg in der Ukraine in unser Leben eingreift. Die E-Gitarre macht das für mich deutlich spürbar.

Auch Bernd Braun (Klang - Raum - Wort) war lange Zeit nicht mehr so in meinem Blick, obwohl er auf mehreren schallplatten der letzten Jahre ebenfalls vertreten ist. Sein „Time Is Running Out“ ist ein ruhiger Track, eine gewisse Dramatik entwickelt sich aber langsam. Es wird drängender, dass uns die Zeit etwas zu verändern oder aufzuhalten, davonläuft. Wie Bernd schreibt, gibt es jedoch immer Hoffnung, was die Musik auch ausdrückt.

Getreu dem Titel „Go Back To Start“ noch ein Satz zum ersten Stück des Albums. Dieses Stück stammt von Spectral Tune, wohinter sich Erik Matheisen verbirgt. Erik hat gerade ein neues Album als Spectral Tune veröffentlicht, und zum Glück hatte er auch noch genug Kreativität für einen Track für unsere schallplatte. „Go Back To Start“ ist jedenfalls ein prima Beginn für einen solchen Sampler. Von der Überschrift her hätte Eriks Stück auch ans Ende gepasst - als klare Aufforderung. Aber vermutlich fängt man bei der „Wendezeiten“-schallplatte ohnehin nach dem Durchlaufen der CD wieder von vorne an.

Wir haben hier ein Album, das einen schönen Überblick über die aktuelle Szene der (melodiösen) EM gibt. Durch die Anzahl von 13 Mitgliedern der Jury entstand eine bunte Mischung, weil die Geschmäcker, Vorlieben und unterschiedlichen Hintergründe der Juroren meiner Meinung nach eine ausgewogene Auswahl gewährleisten. Und für mich war das Ergebnis doch eine Überraschung - man kennt halt nur seine eigene Auswahl.

Das Ergebnis der Wahl in der Form der fertigen CD zu hören, ist eine Freude. Großartig, dass so viele Musikschaffende dem schallwende e. V. ihre Kreativität, ihre Musik so großzügig zur Verfügung stellen. Danke an alle!

Andreas Pawlowski