CD-Kritiken |
Hier erscheinen in loser Reihenfolge CD-Rezensionen:
05.10.2024 Andy Pickford / RadioSilence - The Wall Becomes A Distant Thought
05.10.2024 Mike Hans Steffl - Complicated Connections
23.12.2023 Brainwork - The Studio Sessions
25.10.2023 Kontroll-Raum - Gate 23
02.10.2023 Lambert: Bon Courage
11.09.2023 Mike Hans Steffl: Calaboose Islands
18.08.2023 Various Artists: BERLIN – A Tribute Album For Mark Shreeve
24.06.2023
[‘ramp] – arp-en-ciel
25.03.2023 Pete Farn: Grainscapes Vol. 1
07.03.2023 Peter Mergener - New Horizons
07.03.2023 - David Rothenberg, Bernhard Wöstheinrich, Ali Sayah - Homayoun
12.02.2023 - Robert Schroeder - Floating Music (Edition 2023)
03.01.2023 - [‘ramp] – Happy Days Are Here To Stay
20.11.2022 - mypan: mixta caseo patina
17.11.2022 - Various Artists: schallplatte 25 - Zeitenwende
2024, Bandcamp (https://ramp1.bandcamp.com/album/havoc)
1. |
Fallen Giants |
23:05 |
2. |
Wreak |
30:58 |
3. |
Havoc |
24:59 |
Anfang Mai 2024 erschien das
Album „havoc“ von ['ramp], wieder als Solowerk von Stephen Parsick. Stephen
vermerkt dazu, dass der Großteil der Musik zur gleichen Zeit entstand wie die
Titel der letzten beiden erschienenen Alben „happy days are here to stay“
und „arp-en-ciel“. Die Fertigstellung von „havoc“ wurde überschattet
vom Tod Mark Shreeves.
Optisch ist das Album
„havoc“, was soviel wie Verwüstung, Unheil oder Chaos bedeutet, im
gewohnten Stil von Stephen Parsick gehalten, wie auch die beiden Vorgängeralben:
schwarzer Hintergrund, darauf ein Schwarzweißfoto von einer verlassenen
Lagerhalle oder ähnlichem, das Bild etwas „kratzig“, der Schriftzug
„RAMP“ ist zu erkennen. Ein direkter Bezug zu der Musik oder den Titeln des
Albums scheint auch hier nicht zu bestehen. Aber es wirkt halt düster - Stephen
nennt seine Musik und das Label nicht umsonst „Doombient“. Die Titel der
einzelnen Musikstücke des Albums vermitteln eine entsprechende Düsternis:
„Fallen Giants“, „Wreak“ (zu deutsch: anrichten, zerstören, angreifen)
und „Havoc“ (Verwüstung, Unheil). So brutal, so drastisch und dunkel
empfinde ich die fast 80 Minuten Musik von ['ramp] allerdings nicht. Das geht
mir zugegebenermaßen aber auch so mit den meisten ['ramp]-Alben, die ich kenne.
Wenn man sich die Musik nun ein
wenig näher anhört, ist „Fallen Giants“ wie eine dunkle Hymne, und hat man
das Thema von „Fallen Giants“ einmal gehört, hat es sich auch schon eingeprägt.
Ich stelle mir bei dem Stück eine riesige Halle vor (Giants!). Gäbe es das
Werk „Peer Gynt“ von Edvard Grieg nicht schon, würde sich „Fallen
Giants“ für „Im großen Saal des Bergkönigs“ anbieten. Große Teile
nicht nur dieses Openers, sondern des ganzen Albums werden von tollen Sequenzen
getragen. Und was ich nie bei ['ramp] erwartet hätte: Es tauchen etwa vier
Minuten vor dem Ende der „gestürzten Riesen“ ein paar wenige Klänge auf,
die mich tatsächlich an „Spiral“ von Vangelis denken lassen.
„Wreak“ nimmt in den ersten
Minuten eine Melodie auf, die ein wenig an „Fallen Giants“ erinnert, aber
deutlich zurückhaltender ausfällt. Sie wird von vielen anderen Klängen wie
Zirpen, Rauschen usw. überlagert, währenddessen sich andere Elemente wie
Mellotron und Sequenzer wieder durchsetzen. Das ganze bleibt sehr ruhig; bei dem
Stück kann man seine Gedanken schweifen lassen, bis im letzten Drittel die
Sequenzer für eine gewisse Zeit druckvoller und kräftiger werden. Die letzten
sieben Minuten von „Wreak“ sind wieder schön, harmonisch und positiv.
Nach den ersten sehr ruhigen
Minuten bietet „Havoc“ herrliche Sequenzen. Die Musik vermittelt mir höchstens
ansatzweise das Gefühl, das der Titel transportiert. Stephen schreibt auf
seiner Bandcampseite dazu, er sei sicher, dass Mark Shreeve dieses „massive
sequencing-meets-mellotron thing“ mögen würde. Ja, das kann ich mir auch gut
vorstellen. Denn ähnliche Dinge mach(t)en eben außer ['ramp] auch Mark
Shreeve, ARC und vor allem Redshift. Das trifft sicherlich auch auf den Track
„Fallen Giants“ zu mit seinen starken Sequenzen und der melancholischen
Melodie, die unter die Haut geht.
Das ['ramp]-Album „Steel And
Steam“ wurde zur Hälfte im Jahr 2002 gemeinsam mit Mark Shreeve eingespielt,
Marks und Stephens Musikstil ist dem jeweils anderen also durchaus nahe. Wäre
es nicht großartig, wenn Marks musikalischer Geist ein Stück weit in der Musik
von ['ramp] fortlebte? Nein, ich meine nicht, das Stephen ein Ersatz für
Mark sein sollte. Aber immer mal wieder eine Ahnung von dem zu haben, was Mark
Shreeve vielleicht noch an Musik geschaffen hätte, wäre er nicht viel zu früh
gestorben, das wäre schon toll. Bei „Havoc“ habe ich diese Ahnung. Wie
passend ist es da, dass Stephen Parsick sein Album, im Speziellen aber das
Titelstück, als eine Art Huldigung an Mark und was er von ihm gelernt hat,
beschreibt.
Und wenn ich nun noch einmal auf
die gleiche Entstehungszeit der Alben „happy days are here to stay“,
„arp-en-ciel“ und „havoc“ zurück komme: Diese bilden für mich einen
wunderbaren „Dreiklang“ und gehören in ihrer unterschiedlichen
Charakteristik für mich einfach zusammen.
Andreas Pawlowski
Andy Pickford / RadioSilence - The Wall Becomes A Distant Thought
1. |
The Wall Becomes A
Distant Thought |
37:37 |
Seit Jahren schon veröffentlicht
der englische Elektronikhaudegen Andy Pickford unter dem Namen
„RadioSilence“ ebenfalls EM, die ein wenig anders ist als das, was man sonst
von ihm kennt.
Kürzlich hat Andy bei Bandcamp
den Titel „The Wall Becomes A Distant Thought“ veröffentlicht. Dieser Track
ist für mich ein Paradebeispiel für die Entwicklung eines langen Musikstücks.
In knapp 38 Minuten baut Andy mit wenigen Elementen etwas auf, das mich in
seinen Bann zieht, worin ich förmlich versinken kann. Ein paar Sequenzen, lange
Töne ohne große Variationen, rhythmische Elemente, und ein paar andere
Zutaten, werden aufeinander geschichtet, ein Spannungsbogen zieht sich durch das
ganze Stück. Etwa zwei Drittel nimmt die Steigerung in Anspruch, dann zieht
sich alles langsam wieder zurück. „The Wall Becomes A Distant Thought“
entfaltet eine unwiderstehliche, hypnotische Wirkung.
Hier kommt mir wieder ein Satz in
den Sinn, den Winfrid Trenkler mal gesagt hat. Ich glaube, es war in einer
Laudatio auf Ashra bei einer Schallwelle Preisverleihung: „Macht mir die
Wiederholung nicht schlecht.“ - Genauso empfinde ich bei diesem Werk von Andy
Pickford, die Wiederholung macht es aus. Die Kunst dabei ist, die Wiederholung
nicht einfach nur Wiederholung desselben sein zu lassen, sondern diese so - im
Wortsinn - fesselnd zu gestalten. Das funktioniert nur, wenn man sich genug Zeit
nimmt. In fünf Minuten ist das nicht zu machen. Gerade solches gefällt mir
eben auch in der Elektronischen Musik.
Es lohnt sich, nicht nur dieses
kostenlos erhältliche Minialbum von RadioSilence genauer anzuhören, sondern
auch den anderen Werken von Andy Pickford ein Ohr zu leihen.
Andreas Pawlowski
Mike Hans Steffl - Complicated Connections
2024, Eigenvertrieb, Bandcamp (https://mikehanssteffl.bandcamp.com)
1. |
Gaia |
12:20 |
2. |
Hyperion |
7:26 |
3. |
Aphrodite |
6:26 |
4. |
Nyx |
8:24 |
5. |
Charon |
10:33 |
6. |
Ares |
8:08 |
7. |
Apollon |
7:09 |
8. |
Zephyros |
6:18 |
Für etwas mehr als eine Stunde
eintauchen in die Welt(en) der griechischen Göttersagen, das ist das Programm
von Mike Hans Steffls neuem Album „Complicated Connections“. Den Einstieg
macht Mike mir mit dem Cover schon leicht: Eine gelungene optische Verbindung
der Welt der Götter mit der der Menschen.
Wie gut sich die in den Titeln
genannten Götter und damit verbundenen Geschichten oder Mythen mit der Musik
des Albums verbinden lassen, mag jede und jeder für sich selbst entscheiden.
Die Beziehungen der Gestalten untereinander und mit den Menschen sind
kompliziert - die Erzählungen zeugen davon, und der Albumtitel kommt nicht von
ungefähr.
Die von Mike geschaffene Musik
dazu hat für mich dagegen nichts „Kompliziertes“, sie ist sehr angenehm.
Das Album macht einen eher ruhigen Gesamteindruck. Soundscapes, auf denen sanfte
Melodien aufbauen, zurückhaltend eingesetzte Sequenzen, alles ganz entspannt.
Selbst wenn wir uns mit Charon in die Unterwelt begeben, wird es keineswegs
bedrohlich oder düster. Hier erschafft Mike Steffl zunächst über längere
Zeit Atmosphären, um im letzten Drittel von „Charon“ dem Stück mithilfe
von Sequenzen und tiefen posaunen- oder fanfarenartigen Tönen einen ganz
anderen Charakter zu verleihen.
Ich bin absolut kein Kenner der
griechischen Mythologie, aber ich finde, dass die Figur des Charon, des Fährmanns
über den Totenfluss in die Unterwelt, gut umgesetzt ist. So geht es mir mit
einigen der Tracks auf diesem Album. Ohne damit verknüpfte Geschichten näher
zu kennen, die Mike vielleicht beim Komponieren im Sinn hatte, erschließt sich
mir durch die Musik durchaus ein Charakter oder die „Funktion“ des Gottes
oder der Göttin. So zum Beispiel bei „Nyx“: Nyx ist die Göttin der Nacht,
und so illustrieren die ruhigen Ambientklänge dieses Stück auch die Nacht. Zum
Ende leiten hellere Töne und eine Sequenz mit ihrer Quirligkeit in den Morgen
über. Apollon ist der Gott u. a. des Lichts, des Frühlings und der Künste,
was die wunderbaren Klänge und eine schöne Melodie im entsprechenden Track
hervorragend wiedergeben. Ähnlich ergeht es mir mit „Zephyros“. Der Name
steht für eine „Windgottheit ..., die den (milden) Westwind verkörpert“
(aus Wikipedia zitiert, nach Jacob Grimm und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch).
Genauso leicht und luftig kommt die Musik in dem Stück daher.
Dann gibt es auch noch Ares, den
Gott des Krieges. Was macht Mike Steffl daraus? Gewitter am Anfang, dann folgen
Sequenzen und eine Melodie mit Klängen, die eher traurig stimmen. In der
zweiten Hälfte des Stückes „Ares“ kann man den Eindruck vom Aufmarsch
einer Armee bekommen. Im Vergleich zu den anderen Titeln von „Complicated
Connections“ findet sich in diesem Track eine ganz leichte Aggressivität, die
aber kaum ins Gewicht fällt. Die Trauer über Auswirkungen von Kriegen steht
mir hier viel deutlicher vor Augen, von Kriegsbegeisterung keine Spur.
Mein persönlicher Eindruck ist,
dass dieses Album durchaus die Götter und deren „Complicated Connections“
darstellt, genauso gut aber auch ohne Kenntnis der griechischen Mythologie
genossen werden kann. Ich finde, Mike Hans Steffls neues Album ist eine runde
Sache geworden und sehr gelungen - Daumen hoch.
Andreas Pawlowski
Brainwork - The Studio Sessions
1. |
The Hardware Session |
24:06 |
2. |
The Software Session |
23:13 |
3. |
The Hybrid Session |
22:04 |
Uwe Saher legt mit „The Studio
Sessions“ sein 24. Brainwork-Album vor. Und was für ein mitreißendes Album
ist das geworden!
Im Booklet schreibt Uwe, dass
alle drei „Sessions“ an Musikstücke von Klaus Schulze angelehnt sind. Nun
ja, die vermutlich prägendste Gestalt der Berliner Schule hört man bei sehr
vielen Produktionen in diesem Genre deutlich heraus, und bei „The Studio
Sessions“ wäre mit diesem Hinweis auf Schulze-Tracks alles andere auch
seltsam. Mich persönlich stört der starke Einfluss Klaus Schulzes überhaupt
nicht. Meiner Meinung nach ist es auch kein Abkupfern bei Schulze, sondern durch
die fein ausgearbeiteten Sounds, die Rhythmustracks und die Melodien klar ein
eigenständiges Werk.
In der Musik auf dieser CD ist
eine deutliche Steigerung der Intensität, der Spannung spürbar, bis zum
kraftvollen dritten Stück „The Hybrid Session“. Der Sound der Melodie in
der Hardware Session wirkt zart und fast zerbrechlich, in der Software Session
ist die Melodie klangmäßig schon viel robuster. Und die Hybrid Session
steigert das noch mal etwas weiter. In diesem Abschlusstrack ist aber vor allem
die rhythmische Basis sehr druckvoll und treibend. Und wenn kurz vor der
9-Minuten-Marke zusätzliches Percussion erklingt, finde ich das einfach großartig.
Bei jedem der drei Tracks wünsche
ich mir genauso wie beim gesamten Album, dass das bitteschön noch weitergeht,
nicht aufhört, sondern mich weiter auf die musikalischen Reisen nimmt. „The
Studio Sessions“ ist für mein Gefühl ein hervorragendes
Berliner-Schule-Album, das mir unmittelbar wieder klar macht, warum mir dieses
Genre in der Elektronikmusik nach wie vor am besten gefällt.
Vielleicht versteige ich mich da
zu einer etwas gewagten These, aber ich meine, Brainworks „The Studio
Sessions“ hat das Zeug zum Klassiker. - Ich sage nur: Danke Uwe!
Andreas Pawlowski
1. |
The Runaway |
11:15 |
2. |
Waiting For Departure |
10:16 |
3. |
The Impossible Groove |
9:47 |
4. |
Rumble @ Bungalowdorf |
8:46 |
5. |
Sparkling |
11:10 |
6. |
It All Starts With The
Second Step |
14:21 |
7. |
Cats, Sheep & Dogs |
7:24 |
Aus dem Hause Manikin entstehen
immer wieder neue Formationen, wenn auch oft mit „alten Bekannten“. Mit
„Gate 23“ liegt erst das zweite Album von Kontroll-Raum vor. Die Neulinge
von Kontroll-Raum sind aber eben schon lange in der EM-Szene unterwegs: Bas
Broekhuis, Frank Rothe und Mario Schönwälder.
Vier der sieben Stücke des neuen
Albums waren bereits am 14. Oktober 2023 beim Konzert von Kontroll-Raum auf dem
E-Live-Festival in Eindhoven zu erleben.
Natürlich hat die Musik von
Kontroll-Raum Ähnlichkeiten mit der von BK&S, denn schließlich gehören
zwei Drittel von BK&S, nämlich Bas Broekhuis und Mario Schönwälder, auch
Kontroll-Raum an. Dass aber anstelle von Detlef Keller bei BK&S Frank Rothe
Teil von Kontroll-Raum ist, macht durchaus einen Unterschied. Es sind vor allem
andere Sounds zu hören. Zudem meine ich, dass bei Kontroll-Raum der Anteil von
Bas Broekhuis als Percussionist ein etwas größeres Gewicht bekommt. Das mag
aber auch einfach mein Eindruck aufgrund des Konzerts beim letzten E-Live sein,
wo die Drums weit nach vorne gemischt wurden.
Wie auch immer, wer die Musik von
BK&S oder auch anderen Konstellationen, in denen die Musiker sich tummeln,
kennt und mag, wird bei Kontroll-Raum keinesfalls enttäuscht. Das gilt für das
Debütalbum „Check-In“ ebenso wie nun für „Gate 23“. Der Eröffnungstitel
„The Runaway“ schafft mit etwas dunkleren Klangfarben eher Atmosphären denn
ausgeprägte Melodielinien. Der dominierenden Sequenz in „It All Starts With
The Second Step“ würde ich eine hypnotische Wirkung unterstellen. „The
Impossible Groove“ ist nicht ganz so unmöglich, das Stück groovt richtig schön.
„Sparkling“ zeichnet eine an den Sound einer weit hinten im Raum gespielten
Gitarre erinnernde Melodie aus. „Cats, Sheep & Dogs“ – das Stück kann
man, sowohl was die Sequenz als auch Percussion betrifft, für
Kontroll-Raum-Verhältnisse rasant nennen – setzt einen guten Schlusspunkt.
Ganz am Ende fällt eine Tür ins Schloss – Gate 23 (oder der Schafstall?)
geschlossen – Album zu Ende.
Für mein Empfinden ist „Gate
23“ Berliner Schule par excellence, und das mit niederländischem Touch. Die
Musik von Kontroll-Raum ist zurückhaltend, nicht aufdringlich, nichts wird zu
dick aufgetragen. Selbst bei einem Track wie „Rumble @ Bungalowdorf“ (den
Titel finde ich übrigens recht witzig) bleibt die Musik eher friedlich. Das
einzige Zugeständnis an die Aggressivität im Titel ist vielleicht die durchgängige
Bassdrum, die man bei Kontroll-Raum eher selten hört.
Allzu viel Gewicht bzw. Bedeutung
sollte man den Titeln ohnehin nicht beimessen. Das Kind muss halt einen Namen
haben. Mario Schönwälder ist derjenige, der die meisten Ideen für die
Benennung einzelner Musikstücke beisteuert. Und Mario ist ein Mensch mit Humor.
Vielleicht trifft das auch auf das Cover der CD zu. Marios Kommentar beim
Konzert in Eindhoven lautete, dass man am Flughafen nach dem Check-In (dem Debütalbum
von Kontroll-Raum) zum Gate kommt, also hier zum zweiten Album. Die 23 könnte
die Nummer des Gate bedeuten oder vielleicht das Jahr. – Nun, wenn in diesem
Fall das Gate gemeint ist, möchte ich den Flughafen mal sehen, der Gates wie
auf dem Cover vorhält…
Es ist immer ein Erlebnis, diese
Musiker auf der Bühne zu erleben. Der Spaß, den sie bei Konzerten haben, ist
sicht- und hörbar, und diese Freude überträgt sich auch auf das Publikum. Zu
sehen gibt es immer etwas; ich finde es faszinierend, zum Beispiel Bas
zuzuschauen, wie er einem Perkussionsinstrument die unterschiedlichsten Sounds
entlockt, einen Schalter betätigt und wieder mit völlig anderen Klängen, aber
demselben Instrument, den Rhythmuspart eines Stückes bestreitet.
Ich war auf das Konzert von
Kontroll-Raum beim E-Live-Festival 2023 sehr gespannt, und ich habe mich sehr
auf das Album „Gate 23“ gefreut. In beiden Fällen sind meine Erwartungen
mehr als erfüllt worden. Dieses Album kann ich nur jeder und jedem mit einem
Faible für die Berliner Schule empfehlen, und allen, die die Musik von Mario,
Bas und Frank oder anderen aus dem Dunstkreis von Manikin mögen, sowieso.
Andreas Pawlowski
VÖ: 01.10.2023, Spheric Music
1. |
New Horizon |
6:40 |
2. |
Dream Glide |
7:40 |
3. |
Cave World |
5:30 |
4. |
Fantasy Plays |
5:08 |
5. |
Towards Truth |
2:05 |
6. |
Runguar |
2:30 |
7. |
Secret Call |
5:27 |
8. |
Chain Of Images |
8:32 |
9. |
Deep Cloud |
2:37 |
10. |
Fading Memories |
8:02 |
11. |
Candle |
1:52 |
12. |
Bon Courage |
8:28 |
Neun Jahre hat es gedauert, bis
Lambert ein eigenes neues Album veröffentlichte. Nun ist nach
„Drachenreise“ von 2014 die CD „Bon Courage“ bei Spheric Music,
Lamberts eigenem Label, erschienen, die natürlich auch als Download zu bekommen
ist.
Der erste Titel lautet „New
Horizon“, und tatsächlich sucht Lambert Ringlage neue Horizonte. Der Track
ist für seinen bisherigen Stil in der Instrumentierung eher ungewohnt. Die
E-Gitarre spielt eine wichtige Rolle, markante Melodien prägen sich gleich in
die Gehörgänge ein, und das Stück wirkt fröhlich-poppig und ist absolut
„radiotauglich“. Zudem ist „New Horizon“ ein wunderbarer Aufmacher und
stimmt schon gleich zu Beginn von „Bon Courage“ froh und positiv. Mögliche
ärgerliche Stimmung wird schnell hinweggefegt. Interessant ist bei „New
Horizon“ der Bruch zum Ende des Stückes. Beim folgenden Stück, „Dream
Glide“, schüttelt Lambert die nächsten tollen Melodien aus dem Ärmel.
Auffallend ist die Kürze mancher
Stücke der neuen CD von nicht ganz zwei bis etwas mehr als zweieinhalb Minuten.
Das sind aber keine Interludien, die lediglich Übergänge von einem längeren
Titel zum nächsten sein sollen, sondern hier genügt Lambert diese kurze Zeit,
um jeweils ein eigenständiges und abgeschlossenes Musikstück zu schaffen. Für
mich beeindruckend gelungen ist das vor allem bei „Deep Cloud“.
Eine echte Überraschung ist
„Runguar“. Ein Vokaltrack, bei dem die Stimme nicht als „Instrument“
fungiert, sondern ein Text gesungen wird. Titel und Musik lassen mich an
nordische Sagen denken, womit „Runguar“ tatsächlich aber nichts zu tun hat.
Selbst die verwendeten Worte entspringen Lamberts eigener Kreativität.
Lambert erfindet mit seinem neuen
Album aber das Rad oder sich selbst nicht (nur) neu. Es bleibt Musik von Lambert
Ringlage: Sehr melodiös, perlende und regelrecht glitzernde Sequenzen
(„Fantasy Plays“) sind zu hören, es ist wunderbar instrumentiert, eingängig
und wohltuend. Die musikalische Nähe zu Tangerine Dream ist immer wieder
herauszuhören, z. B. bei „Chain Of Images“. Insbesondere aber beim 10.
Track des Albums, „Fading Memories“. Das ist nicht weiter verwunderlich,
denn für „Fading Memories“ konnte Lambert Johannes Schmoelling, der ein prägendes
Mitglied der legendären Formation war, gewinnen . „Fading Memories“ ist ein
gemeinsames Stück der beiden Musiker, dem die aktive Rolle Johannes
Schmoellings einen eigenen Charakter verleiht. Trotzdem fügen sich die
„dahinschwindenden Erinnerungen“ hervorragend in das gesamte Album ein.
Der Titeltrack gehört zu den längeren
Stücken auf „Bon Courage“, der das Album auch abschließt. Bei dem Stück
gefällt mir besonders, wie Lambert die Möglichkeit der Klang- und Tonhöhenvariation,
die elektronische Musikinstrumente bieten, nutzt. Vor allem aber entlässt er
die Hörer von „Bon Courage“ mit einem Ohrwurm, den man sich gerne gefallen
lässt. Diese Melodie hallt lange im Kopf nach.
Der Anspruch, den Lambert an sein
aktuelles Album stellt, ein „Mutmacher und Glücksgeber bei der Bewältigung
aller Hochs und Tiefs unseres Lebens“ (Pressetext) zu sein, ist für mich voll
erfüllt!
Andreas Pawlowski
Mike Hans Steffl: Calaboose Islands
Veröffentlichung: MHS Music,
Juli 2023
1. |
Makronisos |
8:54 |
2. |
Gyaros |
13:30 |
3. |
Asinara |
17:48 |
4. |
San Lucas |
8:22 |
5. |
Con Dao |
7:18 |
6. |
Pianosa |
14:08 |
7. |
Alcatraz |
4:46 |
„Calaboose Islands“ sind Gefängnisinseln,
und um die geht es auf dem aktuellen Album von Mike Hans Steffl. Sieben Titel,
knapp 75 Minuten Laufzeit, jeder Track eine Insel – viel Stoff, ein Thema mit
vielen Variationen bzw. sieben verschiedenen Inseln und Gefängnissen.
Mike schreibt dazu, keines der
Gefängnisse würde mehr als solches genutzt, die Natur erobert sich ihren
Bereich wieder zurück. Unter der friedlichen Oberfläche aber könne man noch
immer das erlittene Leid der Gefangenen spüren.
Es geht also durchaus um beides:
Schönheit und friedliche Natur, die heute die Inseln beherrschen, auf der einen
Seite, Bitterkeit der Vergangenheit auf der anderen Seite. Mike Hans Steffl
nutzt die musikalischen Stilmittel für beide Seiten, z. B. Sequenzen oder
Melodien als Ausdruck sowohl für erlebtes oder spürbares Leiden in den Gefängnissen
der vergangenen Zeiten oder eben für die Insel mit von Pflanzenwuchs überwucherten
Gefängnismauern.
In meinen Ohren überwiegt die
positive Seite deutlich. Immer wieder aber gibt es Brüche in den Stücken, so
dass die bedrückende Atmosphäre und das erlebte Leid der Gefangenen spürbar
wird. Mir gefällt auch, dass Mike viele eigene oder auch eigenwillige Klänge
verwendet. Vor allem über Atmosphären und Sounds erzählt er von den Calaboose
Islands. Wenn der größte Teil der Musik auf diesem Album auch eher positive
Gefühle und Eindrücke transportiert, so finden sich doch dunklere Teile.
„Asinara“ ist insgesamt etwas düsterer und aggressiver gestaltet als andere
Titel. Der Folgetitel „San Lucas“ ist dann musikalisch eher das Gegenteil.
„Pianosa“ ist schon ein Ambienttrack und wirkt auf mich sehr „spacig“.
„Alcatraz“ war der für mich
einzig bekannte Name, sicherlich dem einen oder anderen Spielfilm
US-amerikanischer Herkunft geschuldet. Und dieses Stück ist auch das durchgängig
rhythmischste Stück des Albums. Und der einzige Track, bei dem das Gefängnis
durch Schritte und schließende Türen erkennbar wird.
„Calaboose Islands“ ist für
mein Empfinden ein rundum gelungenes Album, das ich nicht nach einmaligem Hören
weglegen würde.
Andreas Pawlowski
Various
Artists: BERLIN – A Tribute Album For Mark Shreeve
VÖ: 02.08.2023, www.bandcamp.com
1. |
Redshift |
Quenzer: Live in the
Studio 2002 |
11:46 |
2. |
Ode |
Inerinnerung |
8:22 |
3. |
Radio Massacre
International |
Anemone (remix) |
10:32 |
4. |
Jasun Martz |
In Transience |
11:59 |
5. |
Oscillator_three |
You Trailblazer |
9:37 |
6. |
[‘ramp] |
To The Bitter End |
13:59 |
7. |
Ian Boddy |
Memory Lane |
7:33 |
8. |
David Wright |
Elemmírë |
8:29 |
9. |
Ashok Prema |
Sailing |
5:54 |
10. |
AirSculpture |
On Writing |
8:20 |
11. |
ARC |
Fractured |
11:46 |
12. |
The 5th Manikin |
Bombshell |
12:14 |
13. |
Chuck Van Zyl |
Nightshift |
11:20 |
14. |
Ron Boots |
Where Are They Now? |
9:18 |
15. |
Wavestar II |
A Call To Arms |
5:09 |
16. |
Mark Shreeve |
The Battle Files |
10:59 |
Im Spätsommer 2022 ist Mark
Shreeve gestorben. Mark war einer der Musiker, die die analoge Technik in der
Elektronikmusik hochgehalten hat und mit in seiner Musik unsterblich machte. Das
hat er seit den 1980er Jahren unter seinem eigenen Namen, in den Formationen
Redshift und ARC und in gemeinsamen Produktionen mit anderen Künstlern unermüdlich
getan.
Man mag von Tribute-Alben halten
was man will – „BERLIN – A Tribute Album For Mark Shreeve“ ist unbedingt
empfehlenswert, aus verschiedensten Gründen. Sechzehn Gründe sind fein säuberlich
in der Trackliste des Albums aufgeführt. Ein anderer Grund ist das unglaublich
umfassende und umfangreiche Booklet: 43 Seiten, die nicht einfach „nur“
bebildert sind, findet man nicht alle Tage.
Dass die Erlöse aus den Verkäufen
von „BERLIN – A Tribute Album For Mark Shreeve“ der Krebsforschung zugute
kommen, ist ein weiterer gewichtiger Grund, ein wenig Geld in die Anschaffung zu
investieren. Das Album ist als Download über die Plattform Bandcamp zu beziehen
(BERLIN
- A Tribute Album for Mark Shreeve | Various Artists | BERLIN -A Tribute Album
for Mark Shreeve (bandcamp.com)). Soweit mir bekannt ist, gibt es dieses
Tribute nicht als CD. Das ist bei gut zweieinhalb Stunden Laufzeit nicht überraschend,
doch die schiere Menge an guter Musik stellt ebenfalls einen Kaufgrund dar.
Ungewöhnlich an diesem
Tribute-Album ist, dass Mark Shreeve selber Teil davon ist: Je ein titel von
Redshift und ARC sowie ein Solotrack sind auf diesem wunderbaren Sampler zu
finden. Und einige, vor allem im Bereich der Berliner Schule bekannte Namen sind
vertreten: AirSculpture, [‘ramp], Radio Massacre International, Ian Boddy, um
nur wenige zu nennen.
Initiiert und vermutlich den größten
Anteil am Zustandekommen des Albums hat Marks Bruder Julian, der auch langjähriger
musikalischer Partner war. Julian hat sehr, sehr viel Energie und Herzblut in
das Album investiert. Das spürt man deutlich bei der Lektüre des Booklets. Es
enthält umfangreiche Erinnerungen von Julian Shreeve mit dem gesamten Werdegang
des Musikers Mark Shreeve; die komplette Diskographie, alle Liveauftritte werden
beschrieben, aufgelistet und mit interessanten Details und persönlichen
Anmerkungen aufgewertet. Mir war z. B. neu, dass Mark Shreeve an mehreren Songs
von Samantha Fox beteiligt war, auch als Komponist und Keyboarder ihres Hits
„Touch Me (I Want Your Body)“! Ein Interview ist im Booklet ebenso
nachzulesen wie Erinnerungen und Ehrungen von Familie, Freunden und Musikern. Zu
allen Tracks wurden einige Sätze verfasst, und an Fotos mangelt es auch nicht.
Sämtliche Musikstücke sind,
wenn nicht besonders für dieses Tribute komponiert und eingespielt, so doch
zumindest nie zuvor veröffentlicht. Letzteres gilt natürlich für die Stücke,
die von Mark selbst sind. Die einzelnen Tracks sind entweder in Anlehnung an
Marks Stil bzw. die von ihm kreierten und gerne eingesetzten Sounds oder in
Gedanken an Mark Shreeve als Person, seinen Charakter oder Vorlieben in der
Elektronikmusik entstanden. Hier wird klar, wie sehr Marks Schaffen andere
Musiker inspiriert und beeinflusst und die Berliner Schule insgesamt geprägt
hat. Der Track „To The Bitter End“ erinnert z. B. deutlich an das
[‘ramp]-Album aus dem Jahr 2011, an dem Mark beteiligt war.
Wavestar II schaffen es, den
unverkennbaren rockigen Stil Marks aus den 1980er Jahren, beispielsweise vom
Album „Crash Head“, genau zu treffen. Sehr ungewöhnliche Klänge bieten die
Tracks „In Transience“ von Jasun Martz und „Anemone“ von Radio Massacre
International.
Die meisten Musikstücke bedienen
ganz klar die Berliner Schule. Der Titel von David Wright ist da stilistisch ein
„Ausreißer“, was keineswegs negativ auffällt. Mark Shreeves eigener
musikalischer Kosmos ist ebenso vielfältig wie dieses Album.
Die Titel von Redshift, ARC und
Mark Shreeve solo sind am Anfang, als 11. Track und am Ende von „BERLIN…“
gesetzt. Dadurch bilden sie die perfekte Klammer für die anderen Stücke, die
sich dazwischen einfügen. Es wird ein Bogen über alle dazugehörenden Stile
gespannt, der bestens funktioniert. Keinen Titel empfinde ich als schwach oder
unpassend. Chuck Van Zyl und Ode (drei Viertel von Node) bescheren dem Hörer
und der Hörerin ebenso Berliner Schule auf hohem Niveau wie die fünf Recken
aus dem Hause Manikin (The 5th Manikin: Bas Broekhuis, Detlef Keller, Michael
Menze, Frank Rothe und Mario Schönwälder).
Mit Ashok Prema gibt es einen
Ausflug in ambientere Klänge, und AirSculpture wartet mit einer Melodie auf,
die im Gedächtnis bleibt. Eine großartige Entscheidung von Julian Shreeve war,
die drei Titel „Quenzer“, „Fractured“ und „The Battle Files“
aufzunehmen. „Fractured“ beispielsweise komplettiert das ARC-Konzert in
Philadelphia, das mit dem Album „Church“ veröffentlicht wurde, aber nicht
in Gänze auf die CD passte. Weitere Musik als Solokünstler und als Redshift zu
hören, ist ohnehin immer willkommen.
Auch die anderen Tracks des
Tribute-Albums von den hier nicht eigens genannten Musikern sind absolut hörenswert
und machen „BERLIN – A Tribute Album For Mark Shreeve“ zu einem wahren
Schatz, der unbedingt gehoben werden sollte. – Wie gesagt, es gibt zahlreiche
Gründe, das Album in die persönliche Sammlung Elektronischer Musik
aufzunehmen.
Andreas Pawlowski
VÖ: 02.05.2023
1. |
weerlicht |
10:57 |
2. |
arp-en-ciel |
20:58 |
3. |
the summer of ’88 |
12:36 |
4. |
chunky cookies carpet
ride part one |
7:44 |
5. |
chunky cookies carpet
ride part two |
7:38 |
6. |
chunky cookies carpet
ride part three |
14:58 |
7. |
arp-en-ciel excerpts |
9:15 |
Noch kein Jahr ist vergangen,
seit „Happy Days Are Here To Stay“ erschienen ist, da veröffentlicht
Stephen Parsick das nächste [‘ramp]-Album mit dem schönen Titel
„arp-en-ciel“.
Eigentlich ist „arp-en-ciel“
nicht das neueste Album von [‘ramp], denn es sollte schon vor einem Jahr
erscheinen, als plötzlich Klaus Schulze verstarb. Stephen Parsick, der in
seinem musikalischen Schaffen stark von Klaus Schulze beeinflusst wurde,
entschloss sich, „arp-en-ciel“ zu verschieben, um nicht auf den Zug der
vielen KS-Tributes aufzuspringen. Stattdessen kam zunächst „Happy Days Are
Here To Stay“ an die Öffentlichkeit. Ich kann diesen Entschluss bestens
nachvollziehen, denn die Einflüsse sind deutlich auszumachen. Es ist aber eben
kein KS-Tribute, sondern Parsicks Werk als [‘ramp].
War der Albumtitel „Happy Days
Are Here To Stay“ noch reine Ironie und die Musik darauf ein wenig düster,
eben „Doombient“, so ist „arp-en-ciel“ eher ein „back to the roots“.
Stephen schreibt selber, dass er zur Einfachheit seiner frühen Werke zurück
wollte, mal wieder etwas in der Schlichtheit der ersten eigenen Musik schaffen
wollte.
Das hier verwendete Wort
„schlicht“ sollte man auf keinen Fall mit „simpel“ gleichsetzen. Mit den
„schlichten“ Soundscapes nimmt „weerlicht“ (niederländisch für
Wetterleuchten) mich jedenfalls gleich gefangen. Die Klänge hüllen ein wie
eine wohlige Decke, eher noch wie ein seidenes Tuch, so leicht wirken sie.
Das Titelstück, mit knapp 21
Minuten auch der längste Track des Albums, beginnt zwar, wie „weerlicht“
endet, aber sehr schnell tragen Sequenzen den „Regenbogen“ hinauf.
Arc-en-ciel ist das französische Wort für Regenbogen, und da die ARP-Synths
die wichtigsten Instrumente auf der ersten Hälfte des Albums sind, entstand das
Wortspiel „arp-en-ciel“. Bei diesem Stück kommt man schnell ins Schwärmen;
Berliner-Schule-Freunde dürften ihre helle Freude daran haben.
Von anderer Art ist die zweite Hälfte
der CD mit dem bemerkenswerten Titel „chunky cookies carpet ride“. Teil 1
wurde auch bereits vor 23 Jahren aufgenommen. Es ist gemeinsam mit Klaus
Hoffmann-Hoock (Cosmic Hoffmann) in dessen Quasar-Studio in Sonsbeck entstanden.
Das dreiteilige Werk ist in part one und part two herrlichste Ambientmusik - wie
sie eben auch Cosmic Hoffmann geschaffen hat. Stephen Parsick hat derartiges auf
seinem wunderschönen Album „Hoellenengel“ ebenfalls zu Gehör gebracht.
Dass mich die „chunky cookies“ an „Hoellenengel“ erinnern, ist nach
einem Blick auf das CD-Cover gar nicht verwunderlich. „Hoellenengel“ ist im
Anschluss an die Aufnahmen zu „chunky cookies carpet ride part one“ ab
November 2000 entstanden. - Der Ambientcharakter wird in Teil drei wieder von
großartigen Sequenzersounds überlagert, bis sehr schöne melodiöse
Mellotronklänge in den Vordergrund drängen.
Die CD beinhaltet die
beschriebenen sechs Musikstücke. Kauft man das Album als Downloadversion, gibt
es ein siebtes Stück: „arp-en-ciel excerpts” - gute neun Minuten
Ausschnitte zu einem Track zusammengesetzt, der bei Bandcamp auch als
“Teaser” schon im Vorfeld zu hören war.
Ich muss sagen, das neue
[‘ramp]-Album „arp-en-ciel“ ist wieder ganz großes Kino. Auf Stephen
Parsick ist Verlass.
Andreas Pawlowski
Veröffentlichung: SynGate, 2023
1. |
Twilight Forrest |
25:07 |
2. |
The Hive |
5:50 |
3. |
A Grainy Summerday |
30:01 |
Was ist elektronische Musik? – Diese Frage ist nicht abwegig, wenn man sich die Werke von Pete Farn anhört. Elektronische Klangerzeugung ist das eine. Auf der anderen Seite kann man auch fragen: Muss es bei der EM immer um Melodie, Rhythmus, Sequenzen gehen? Sicherlich nicht. Gerade die Elektronikmusik bietet ja die vielfältigsten Möglichkeiten. Oft genügen Klänge, Klangstrukturen oder „Soundscapes“, um Hörerinnen und Hörer zu berühren oder anzurühren. Ob etwas gefällt, ist ohnehin eine Frage, die man nur für sich selbst beantworten kann. Manche EM-Produktion will womöglich gar nicht „gefallen“. Ich würde auch nicht behaupten wollen, dass ich „Grainscapes Vol. 1“ von Pete Farn im herkömmlichen Sinn „schön“ finde. Dafür sind die drei Stücke viel zu experimentell. Das Album betrachte ich eher als klangliches Abenteuer.
Das Besondere an „Grainscapes“ ist zunächst einmal die Entstehung dieser Klänge. Ich musste mir mangels Kenntnis erst ein paar Informationen darüber suchen, was „Grains“ bzw. granulare Synthese ist. Sehr vereinfacht kann man vielleicht sagen, dass bei der granularen Synthese Klänge in winzige Teile oder Abschnitte zerlegt werden, die bis wenige Millisekunden kurz sind, um dann wieder neu zusammengesetzt zu werden. Dadurch erzeugt man völlig neue Klänge, aus denen der ursprüngliche Sound möglicherweise kaum noch zu erkennen ist.
Für mich als jemanden, der sich elektronische Musik anhört, ist die Entstehung aber nicht das Wichtigste. Entscheidend ist, was dabei bzw. was aus den Lautsprechern herauskommt. Und ja, was von Pete Farn erklingt, ist „seltsam und experimentell“, wie bei SynGate zu lesen ist. Und zugegebenermaßen ist das auch keine leichte Kost, aber bestimmt nicht unbekömmlich. Melodien? – Fehlanzeige. Rhythmen? – Ja, in seltenen Fällen für eine Zeit lang. Faszinierende Sounds? – Unbedingt.
So seltsam und fremdartig die Sounds auch sind, die Peter Schaefer unter seinem Künstlernamen Pete Farn für sein Album geschaffen hat, sie können doch Bilder vor meinem geistigen Auge aufrufen. Ich sehe zum Beispiel Nebelschwaden, die durch den „Twilight Forrest“ ziehen (wobei mir die Schreibweise des Forest mit zwei „r“ etwas rätselhaft ist), merkwürdige Kreaturen im Unterholz, Vögel, die aufgescheucht werden. Auch in „A Grainy Summerday“ tauchen Bilder auf. Am greifbarsten aber finde ich den kurzen Track „The Hive“: Beim Hören dieses Stückes kann ich mir tatsächlich das Treiben vor oder in einem Bienenstock vorstellen – in Nahaufnahme und Zeitlupe.
Ich weiß nicht, woran es liegt, aber die Klangwelt von „Grainscapes Vol. 1“ fesselt mich. Vielleicht ist es schon die Faszination, die elektronische Klänge auf mich ausüben. Jedenfalls kann ich mir dieses Album gut anhören, und mit der Zeit werden die Klänge auch vertrauter. – Je öfter ich Pete Farns Grainscapes höre, desto faszinierender wird das Album. Musik, die Aufmerksamkeit und Zeit erfordert und sich nicht zur Berieselung eignet. Ich meine, es lohnt sich allemal, diesen Klängen Zeit und Aufmerksamkeit zu widmen.
Andreas Pawlowski
Veröffentlichung: MellowJet, 2023
1. |
Announcement Of The Savior |
9'21 |
2. |
Birth Of The Lord |
4'03 |
3. |
John The Baptist And The Baptism Of Jesus |
3'10 |
4. |
Temptation In The Desert |
7'24 |
5. |
The Spirit Of The Lord Is Upon Me |
3'53 |
6. |
The Transfiguration |
7'25 |
7. |
Jesus Prayer |
5'30 |
8. |
Exaltation On The Cross |
9'07 |
9. |
Sheol |
2'45 |
10. |
Resurrection Of Jesus Christ |
7'26 |
11. |
The Ascension |
4'49 |
12. |
Pentecost |
8'42 |
Ein tolles Cover macht mich gleich neugierig auf das neue Album von Otarion: Ein lichtdurchfluteter Wolkenhimmel, darin der Schriftzug Otarion mit den markanten Buchstaben, und in deutlich größerer Schrift das griechische Wort Logos, sinnigerweise auch in griechischen Buchstaben geschrieben. Das Coverbild erinnert mich an Gemälde, auf denen der Himmel als Wohnung Gottes dargestellt wurde, als Ursprung alles Seins.
Rainer Klein, wie Otarion tatsächlich heißt, veröffentlicht schon seit etlichen Jahren Musik auch mit biblischem und christlichem Bezug. Meist dreht sich dann ein ganzes Album um ein bestimmtes Thema der Bibel. Vor zehn Jahren, 2013, erschien „Out Of Eden“, die beiden letzten Alben vor „Logos“ befassten sich mit der Erzählung um Jona (Altes Testament). „Logos“ nun thematisiert den Kern des christlichen Glaubens: Das menschgewordene Wort Gottes, Jesus Christus. Der Beginn des Johannes-Evangeliums beschreibt das mit wunderschönen Sätzen. Otarion illustriert musikalisch das gesamte Geschehen von der Verkündigung über die Geburt Jesu, die Taufe durch Johannes, Verklärung, Kreuzigung, Abstieg in das Reich des Todes („Sheol“), Auferstehung und Himmelfahrt bis zum Pfingstereignis.
Man kann „Logos“ auch völlig losgelöst von den Titeln und dem biblischen Ursprung hören. Man muss auch kein gläubiger Mensch sein, um die Musik zu genießen. Rainer Klein hat erneut ein Werk vorgelegt, das ein wahres Feuerwerk an kraftvollen, rockigen und melodiösen Tracks abbrennt.
Die klassischen Instrumente der Rockmusik kommen in Otarions Musik zum Tragen: Schlagzeug, Bass, E-Gitarre. Mit vielschichtigen Synthesizern - manchmal sind auch Orgelsounds wie im Progressive Rock zu hören - kreiert Rainer Klein seinen Klangkosmos.
Einige Stücke beginnen eher ruhig und verhalten, entwickeln sich aber auch zu druckvollen musikalischen Perlen. Besonders gut gefällt mir „The Transfiguration“ mit großartiger Instrumentierung, sehr schöner Melodieführung und spannender Entwicklung des Stücks. Manchmal, wie z. B. bei „The Spirit Of The Lord Is Upon Me“ oder „Sheol“, bleibt es bei ruhigen Klängen.
Wenn ich mir die einzelnen Titel anschaue, dann sind diese für mich musikalisch absolut nachvollziehbar. Da sind beispielsweise die Versuchungen („Temptation In The Desert“) mit düsterem Rock dargestellt. Wenn Jesus betet, also mit seinem Vater spricht („Jesus Prayer“), wirkt die Musik intim. „Exaltation On The Cross“ hat musikalisch harte Stellen, die den Schmerz, aber auch die Verzweiflung deutlich machen. Passenderweise wird „Resurrection Of Jesus Christ“ regelrecht zur Hymne. „The Ascension“ (Himmelfahrt) wirkt auf mich sphärisch und erhebend, und „Pentecost“ (Pfingsten) ist sehr abwechslungsreich mit ruhigen und aufwühlenden und antreibenden Passagen. So haben sich vielleicht auch die Menschen beim Pfingstereignis gefühlt, wie es in der Apostelgeschichte beschrieben wird.
Wie auch immer man an die Musik auf „Logos“ herangeht, ob man den Titeln und der Intention etwas abgewinnen kann oder nicht - hier haben wir ein großartiges Otarion-Album, das ich jeder Freundin und jedem Freund von kraftvoller EM wärmstens empfehlen kann.
Andreas Pawlowski
7.3.2023 - Peter Mergener - New Horizons
Veröffentlichung: Spheric Music, 2023
1. |
Discovery |
6'58 |
2. |
Spaceshuttle |
5'47 |
3 |
Surroundings |
3'45 |
4. |
Kosmonaut |
8'32 |
5. |
Heart Of Space |
3'34 |
6. |
Hycean Planet |
7'58 |
7. |
New Horizons |
7'20 |
8. |
Ignition |
9'16 |
9. |
Mission Control |
3'03 |
Ein „klassischer“ Auftakt: Funksprüche aus der Raumfahrt. Die werden in der nächsten knappen Stunde, die das neueste Album „New Horizons“ von Peter Mergener läuft, noch öfter zu hören sein.
Das ganze Album dreht sich um Raumfahrt, und zwar durchaus verbindend, denn da ist die amerikanische ebenso vertreten wie die sowjetische. Titel wie „Kosmonaut“, „Spaceshuttle“, „Discovery“ und „Mission Control“ machen das inklusive Funkverkehr in englischer und russischer Sprache deutlich. Die Verbindung gelingt bestens durch Peter Mergeners Musik.
Sonderlich „kosmisch“ wirkt Peters neues Album nicht auf mich. Das ist auch nicht sein vordringlicher Stil. Mit „Surroundings“, „Heart Of Space“ und dem Titelstück „New Horizons“ sind zwar atmosphärische, schwebende Musikstücke vertreten, „Discovery“ und „Kosmonaut“ kommen aber vergleichsweise rhythmusbetont und flott aus den Lautsprechern. Typische Mergener-Sequenzen wie beispielsweise in „Hycean Planet“ lassen mich immer dahinschmelzen, ebenso gefällt mir die „weich“ klingende Sequenz in „Spaceshuttle“ sehr gut.
Der Titeltrack „New Horizons“ ist überhaupt ein Paradebeispiel dafür, wie Peter Mergener seine Hörer wegdriften lassen kann: Soundscapes, Sequenzer, Atmosphäre - da stimmt alles, und man hat das Rüstzeug, um sich auf eine innere Reise zu neuen Horizonten zu machen. „Ignition“ (Zündung) holt die Hörer etwas abrupt wieder zurück, um auf eine weniger träumerische Reise mitzunehmen.
„Ignition“ lässt mich auf diesem Album noch mit am meisten an die frühen Veröffentlichungen von Peter Mergener denken. Aufbau, Melodie und Sequenzen schlagen in meinem Kopf eine Verbindung in die Vergangenheit. Damit meine ich nicht, dass dieses Stück veraltet klingen würde. Nein, es zeigt mir vielmehr, dass die Musik zeitlos gelungen ist, dass es Konstanten gibt, die auch in 2023 gültig sind und Peters Musik erkennbar und qualitativ hochwertig bleibt.
„New Horizons“ ist meiner Meinung nach ein rundum gelungenes Album geworden. Es ist melodiös, harmonisch, bietet Abwechslung, und ist doch aus einem Guss.
Andreas Pawlowski
7.3.2023 - David Rothenberg, Bernhard Wöstheinrich, Ali Sayah - Homayoun
Veröffentlichung: Iapetus Media, 2023
1. |
Unfacts |
8'10 |
2. |
Blesswarp |
8'22 |
3. |
Homayoun |
16'33 |
4. |
Compline |
15'49 |
5. |
Surmount |
17'25 |
Bernhard Wöstheinrich ist unter den Elektronikmusikern, die mir bekannt sind, einer der kontakt- und experimentierfreudigsten. Mit den unterschiedlichsten Künstlern hat er schon zusammengearbeitet. Das Album „Homayoun“ hat er gemeinsam mit dem amerikanischen Musiker und Philosophen David Rothenberg und Ali Sayah, Berliner mit iranischen Wurzeln, produziert. David Rothenberg ist im Oeuvre von Bernhard Wöstheinrich bereits ein „alter Bekannter“, Ali Sayah dagegen meines Wissens nach zum ersten Mal dabei.
Der Albumtitel ist erklärungsbedürftig. „Homayoun“ ist laut Wikipedia persisch für Glück oder glückverheißend und „als ursprünglicher Melodie-Titel die Bezeichnung eines musikalischen Modus im Dastgah-System“. Dastgah wiederum „ist ein unter anderem durch seine Tonabstände (Intervalle der zugrundeliegenden Tonleiter) charakterisiertes modales System in der traditionellen persischen Kunstmusik“. (Quelle: ebenfalls Wikipedia.)
Sehr ungewöhnlich für elektronische Musik sind auf „Homayoun“ die Instrumente. Ali Sayah spielt Bass (nicht ganz so ungewöhnlich) und Tar (sehr ungewöhnlich), David Rothenberg Klarinette und Bassklarinette (ebenfalls sehr ungewöhnlich), Bernhard Wöstheinrich bedient natürlich die elektronischen Instrumente (gar nicht ungewöhnlich). Diese Kombination bringt äußerst ungewohnte Klänge hervor, insbesondere, weil über weite Strecken die akustischen Instrumente im Vordergrund sind. Die Eigenständigkeit, die Bernhard Wöstheinrichs Musik im Allgemeinen schon auszeichnet, fehlt auf „Homayoun“ nicht, erreicht durch die Zusammenarbeit der drei Musiker aber eine neue Ausrichtung.
Die Klarinetten David Rothenbergs, was und wie er spielt, würde ich sonst eher im Jazz erwarten. Aber das passt eben auch zur EM. Die Tar, eine Langhalslaute, ist in den Stücken „Homayoun“ und „Surmount“ zu hören und gibt den Tracks einen Touch von Weltmusik. Auch der von Ali Sayah auf „Blesswarp“ gespielte Bass verleiht dem Stück eine eigene Note und macht sich sehr gut in dem Track. Mir wäre nicht bewusst, dass Bernhard Wöstheinrich häufiger auf seinen Alben ein Klavier einsetzt. Auf dem neuen Album „Homayoun“ spielt er in mehreren Stücken das Piano, und auch das ist sehr stimmig.
Ich finde es spannend, wie im Eröffnungstitel „Unfacts“ das scheinbar willkürliche Spiel der Musiker im Verlauf immer mehr zusammengeht und harmoniert. „Blesswarp“ wirkt deutlich „strukturierter“, woran Ali Sayahs Bassgitarre und die von Bernhard Wöstheinrich gespielten Rhythmen großen Anteil haben. Nach dem Titelstück, das vor allem durch die Tar fremd für mitteleuropäische Ohren klingt, beginnt „Compline“ mit den harmonischen Klavierakkorden recht vertraut. „Surmount“, der Abschlusstitel, ist in der ersten Hälfte stellenweise wie das große Finale, wenn die drei Musiker sich „hochschaukeln“. Am Ende gibt es aber keinen Paukenschlag, das Stück hat stattdessen einen sehr langen Ausklang, wie wenn die Musiker sich aus dem Stück verabschieden – und plötzlich ist es vorbei.
Es gibt in der Elektronikszene Musik, die man sich regelrecht erarbeiten muss, um ihr etwas abzugewinnen. „Homayoun“ von Rothenberg / Wöstheinrich / Sayah zähle ich nicht dazu. Das Album ist keine „schwere Kost“. So ungewohnt die Instrumente und Klänge auch sind - wer sich mit Neugier und offenen Ohren diesem Album widmet, entdeckt sicherlich neue musikalische Welten. Natürlich bleibt alles auch immer Geschmackssache. Ich für meinen Teil bin jedenfalls immer wieder überrascht, welche Vielfalt in der EM möglich ist. Und das ist etwas, was ich nicht missen möchte: Neues entdecken, unerwartete Kollaborationen, überraschende Klänge und Einflüsse - Bernhard Wöstheinrich und seine Mitstreiter sind dafür immer eine gute Adresse.
Andreas Pawlowski
12.2.2023 - Robert Schroeder - Floating Music (Edition 2023)
Veröffentlichung: Spheric Music, 2023
1. |
Floating Music |
9'09 |
2. |
Divine My Future |
5'09 |
3. |
Pastime |
4'12 |
4. |
Visions |
3'54 |
5. |
Meditation For The Next Part |
1'10 |
6. |
Out Of Control |
1'54 |
7. |
Shadows In The Night |
6'59 |
8. |
Rotary Motion |
3'27 |
9. |
Floating In Slow Motion |
23'09 |
Ich gebe zu, bis vor kurzem kannte ich das Album „Floating Music“ von Robert Schröder nicht. Am 1. Januar 2023 erschien das Album als „Floating Music EDITION 2023“ bei Spheric Music neu, und Robert Schröder schreibt sich nun Schroeder, wie auch bei allen anderen Veröffentlichungen, die nach der Zeit bei Klaus Schulzes Label IC herauskamen. Eine gute Gelegenheit also, wieder in die Vergangenheit einzutauchen, denn zuerst veröffentlicht wurde „Floating Music“ im Jahr 1980.
Immerhin besitze ich u. a das Schrödersche Debütalbum „Harmonic Ascendant“. Und ich finde, dass das Titelstück „Floating Music“ musikalisch unmittelbar an das vorangegangene Album anschließt. Nach gut drei Minuten setzen jedoch Drums ein und damit wird eine deutlich kraftvollere Gangart eingeschlagen. Stil und Struktur des Stückes bleiben aber noch nahe bei „Harmonic Ascendant“.
Selbstverständlich ist „Floating Music“ kein Abklatsch des Vorgängeralbums, sondern eine Weiterentwicklung. Es tauchen Sounds auf, die auch auf späteren Alben von Robert Schroeder zu hören und sicherlich seine eigenen Kreationen sind. Schließlich hat der Mann auch selber Synthesizer gebaut. Aber es sind ebenso eine Reihe von Klängen und Kunstgriffen in den Stücken zu entdecken, die an Klaus Schulze zumindest stark erinnern. Das muss nicht verwundern, denn Klaus Schulze hat das Album damals produziert. „Floating Music“ ist ein melodiöses Album mit Ausflügen in sphärische Klangschaften. Breiten Raum nehmen natürlich auch Sequenzen ein. Die Tracks sind kürzer geworden als beim Debüt, sogar bis unter zwei Minuten.
Die „Edition 2023“ bietet einen deutlichen Mehrwert gegenüber dem Original, nämlich den 23minütigen Bonustitel „Floating In Slow Motion“. Der Titel ist Programm: in vielen Teilen fließt die Musik ruhig dahin. Motive aus anderen Stücken des Albums werden in diesem langen Track wieder aufgegriffen.
Es handelt sich also auch insgesamt um ein abwechslungsreiches Album, bei dem die musikalischen Veränderungen recht schnell erfolgen. Das „Floating“ wird jedoch damit nicht gestört, die Übergänge sind immer gelungen.
Wenn man bedenkt, dass die Edition 2023 nun auf 59 Minuten Laufzeit kommt, ist die Originalfassung von 1980 mit ihren 36 Minuten sehr kurz, zumindest nach heutigen Maßstäben.
Was ich aber besonders hervorheben möchte: Das Album „Floating Music“ hat die Zeit gut überstanden. Es klingt auch mehr als 40 Jahre nach der Erstveröffentlichung kein bisschen veraltet. Man kann also, ob das Originalalbum die eigene EM-Sammlung ziert oder nicht, unbedingt zugreifen und den Fundus mit „Floating Music Edition 2023“ bereichern.
Andreas Pawlowski
3.1.2023 - [‘ramp] – Happy Days Are Here To Stay
Veröffentlichung: 29.08.2022
1. |
The Last Thing He Heard |
7:27 |
2. |
Future Looming Behind Us |
14:10 |
3. |
Mourning Glory |
5:22 |
4. |
Fomalhaut |
11:17 |
5. |
Happy Days Are Here To Stay |
13:16 |
6. |
All Is Lost |
8:18 |
7. |
Capsized |
6:34 |
8. |
Shipwrecked |
6:43 |
„Happy Days Are Here To Stay“ der Albumtitel und [‘ramp], also Stephen Parsick, der Interpret – passt das zusammen? Das Coverbild, eine Schwarz-Weiß-Aufnahme der Skulptur „Mutter mit totem Sohn“ von Käthe Kollwitz im Mahnmal „Neue Wache“ in Berlin, lässt nicht gerade auf fröhlich-ausgelassene Musik schließen. Man sollte sich nicht vom Albumtitel in die Irre führen lassen, vielleicht ist er pure Ironie. „Happy“ wirken die Stücke auf dem 2022er-Album von [‘ramp] jedenfalls ganz und gar nicht. Das sollte aber niemanden entmutigen, sich auf „Happy Days Are Here To Stay“ einzulassen, denn es lohnt sich!
Die CD beginnt schon mit einer markanten Melodie, die Stephen Parsick dem Mellotron entlockt. Diese Flötenklänge ziehen sich durch mehrere Titel des Albums. Auch der zweite Track, „Future Looming Behind Us“ wird vom Mellotron dominiert, und ebenso vom Sequenzer, der sich leise hineinschleicht. Dieses Stück mit seiner Rhythmik und Bewegtheit ist auch die Ausnahme auf dem ansonsten ruhigen, introspektiv wirkenden Werk.
Die nächsten zwei Titel sind bestimmten Personen gewidmet, deren Vornamen genannt sind. „Mourning Glory“ ist für Edgar, und da kann es sich nur um den verstorbenen Edgar Froese handeln. Mit dem Gedanken im Hinterkopf klingt „Mourning Glory“ wie ein trauriges TD-Stück.
In den letzten Jahren sind viele der ganz Großen der Elektronikmusik von uns gegangen. Die Verluste wirken auf diesem [‘ramp]-Album nach. Doch trotz ihrer zeitweisen Traurigkeit ist die Musik von einer unfassbaren Schönheit, die mir die Tränen in die Augen treibt. Das beste Beispiel ist hier sicher das vierte Stück, „Fomalhaut“, mit seiner wunderschönen Melodie. Wenn man dann liest, dass dieses Stück für Klaus ist, denkt man vermutlich an den am 26.04.2022 verstorbenen Klaus Schulze. Doch Stephens Text zum Album auf seiner Bandcampseite (www.ramp1.bandcamp.com) nennt ganz klar den schmerzlich vermissten Cosmic Hoffmann, Klaus Hoffmann-Hoock, der bereits 2017 starb. Das Stück wird also eher Klaus Hoffmann-Hoock gewidmet sein. Im Übrigen musste ich den Titel „Fomalhaut“ recherchieren, denn das Wort fand ich seltsam. Das Wort Fomalhaut ist arabischen Ursprungs, wird ganz sicher nicht ausgesprochen wie geschrieben, bedeutet „Maul des Fisches“ und benennt den hellsten Stern im Sternbild Fische.
Das Titelstück „Happy Days Are Here To Stay“ ist mit seiner düsteren Atmosphäre und dem langsam „pumpenden“ Sequenzer eigentlich das Gegenteil seines Namens. Das folgende „All Is Lost“, ein wunderschönes, fast minimalistisch instrumentiertes Ambientstück, wirkt dann schon wieder keineswegs so hoffnungslos, wie der Titel vermuten lassen könnte.
Solcherart widerstreitende Gefühle werden auch mit den folgenden beiden Titeln befördert. Zu Beginn von „Capsized“ („gekentert“) kann man sich tatsächlich wie ein Ertrinkender nach dem Kentern fühlen. Aber die Zuversicht geht nicht verloren. Das Stück endet wie mit dem Gefühl des Auftauchens und mit Boden unter den Füßen. Das wird wiederum konterkariert durch den Schlusstitel „Shipwrecked“, der den Hörer mit einer Ungewissheit entläßt, die irgendeiner Auflösung bedarf.
Mit der Musik von „Happy Days Are Here To Stay“ möchte man alleine und ungestört sein. Sie wirkt meditativ und lässt tief in sich selbst hineinschauen. Diese Musik entführt mich nicht in die Weiten des Alls oder ähnliches, nein, hier geht es direkt in die Tiefen meiner Selbst.
Meiner Meinung nach gehört Musik von [‘ramp] zum Faszinierendsten, was EM zu bieten hat.
Andreas Pawlowski
20.11.2022 - mypan: mixta caseo patina
Veröffentlichung: Syngate, 2022
1. |
the sudden collapse of the circle |
2'24 |
2. |
somnum |
6'30 |
3 |
white and the black point |
5'25 |
4. |
scottish dance with wooden spoon in the hand |
3'36 |
5. |
laponica noodle pulmenti |
3'22 |
6. |
weichspüler |
4'38 |
7. |
orange and the green triangle |
4'00 |
8. |
echoes from stephenson 2-18 |
16'58 |
Nach vier Jahren ein neues Album von Michael Stehl alias mypan - was für eine erfreuliche Überraschung! Das Album namens „mixta caseo patina“ ist auch gleich zu erkennen, denn das Cover ist wie bei seinem Debüt „perpetuum musica momentum“ gestaltet, und eben auch bei SynGate erschienen.
Der Albumtitel „mixta caseo patina“ heißt übersetzt gemischte Käseplatte - was ich schon mal richtig witzig für einen Titel halte. Und so entsteht, wie Michael Stehl im Inlet selber über sich schreibt, die Musik: „kein Konzept, sondern einfach loslegen und schauen was passiert.“ Das nicht vorhandene Konzept geht in meinen Ohren tatsächlich auf. Beim ersten Titel dachte ich, Michael sei unter die Konzertmeister gegangen: Ein kurzes, aber wuchtiges Stück für großes Orchester! „Somnum“ ist dagegen wesentlich zurückhaltender und „traditionell“ elektronischer mit Sequenzen und vangelisartiger Melodie und Instrumentierung.
So gemischt geht es weiter, sowohl musikalisch, als auch in der Betitelung der Stücke: „white and the black point“, „scottish dance with wooden spoon in the hand“, „orange and the green triangle“ oder auch „weichspüler“. Ein Musiker mit Humor, ohne Zweifel. Bei dem „scottish dance“ weiß man auch schon gleich, was einen erwartet. Und es klingt sehr gut!
Die CD hat mit 47 Minuten eine ungewohnt kurze Laufzeit, wobei die völlig in Ordnung geht. EM-Freunde sind, was Laufzeiten von Alben angeht, sicher mittlerweile ziemlich verwöhnt. Aber mir ist ein „kurzes“ Album wesentlich lieber als eines mit unnötigem Füllmaterial und langer Laufzeit.
Die Möglichkeiten elektronischer Instrumente hat mypan breit gefächert genutzt. „laponica noodle pulmenti“ ist dafür ein gutes Beispiel, vor allem im Kontrast zum Album-Opener „the sudden collapse of the circle“.
Eine absolute Kuriosität ist der Track „weichspüler“. Böse könnte man sagen, das Stück klingt tatsächlich weichgespült, aber da bin ich sicherlich auch durch den Titel beeinflusst. Was mich mehr als überrascht hat bei dem Stück ist der gesprochene Text und die Art und Weise wie er klingt. Dabei geht es um ... - nein, das verrate ich hier lieber nicht. Ich weiß nicht so recht, ob ich das Ganze ernst nehmen soll. Nun, Michael bezeichnet sich als Menschen mit Humor und Phantasie - ich habe beim Hören von „weichspüler“ nach den ersten Lachanfällen jedenfalls immer wieder ein Grinsen im Gesicht.
Das letzte Stück auf „mixta
caseo patina“ ist mit knapp 17 Minuten das mit Abstand längste. Zum Titel
musste ich erst einmal das Internet bemühen, denn „echoes from stephenson
2-18“ sagte mir nichts. Wer ist Stephenson? Es klärte sich schnell, dass
„Stephenson 2-18“ ein sogenannter „roter Überriese“ ist, ein „sehr
ausgedehnter Stern, der am Ende seiner Entwicklung angelangt ist“ (Zitat
Wikipedia).
Dieser Titel ist in sich schon eine gemischte Platte, denn er besteht aus vielen Teilen, die aber bestens zusammen passen. Zu Beginn haben wir kosmische Musik mit einem tiefen Basston. Nach zwei Minuten wird es plötzlich wie eine Fortsetzung von „perpetuum sensum part 1“ vom Vorgängeralbum, und ich fühlte mich aufs Neue an das Penguin Café Orchestra erinnert. Ein regelrechter „Cut“ führt dann in perlende Sequenzerkaskaden, ambiente Sounds leiten in das lang ausklingende Ende über, das wiederum kosmisch wirkt. Der tiefe Basston vom Beginn taucht, diesmal pulsierend, wieder auf. Und es gibt immer zu vorhergehenden Teilen einzelne verbindende Elemente. - Ein wunderschönes Stück und toller Abschluss.
Auch wenn es wieder lange dauern sollte, bis ein drittes mypan-Album erscheint - darauf warte ich gerne, weil Michael Stehl einfach schöne und eigenständige Musik schafft. Und bis dahin gibt es mit den zwei bisherigen Alben angenehmen Zeitvertreib.
Andreas Pawlowski
17.11.2022 - Various Artists: schallplatte 25 - Zeitenwende
Veröffentlichung: schallwende e.V., September 2022
1. |
Go Back To Start |
Spectral Tune (Erik
Matheisen |
5'14 |
2. |
Fractal Nutation |
VoLt (Michael Shipway & Steve Smith) |
7'01 |
3 |
Weather Forecast: Here Comes The Sun |
Synchronized (Francois ten Have) |
4'59 |
4. |
Alien Discussions |
Tonal Assembly (Dr. Taede Smedes) |
5'57 |
5. |
Turning Point |
WEGA (Alexander Hardt) |
6'39 |
6. |
Silberstreif |
Talking
To Ghosts (Stefan Schulz) |
5'24 |
7. |
Zeit Wände |
Stan Dart (Richard
Hasiba) |
5'43 |
8. |
Time Is Running Out |
Klang Raum Wort (Bernd
Braun) |
7'02 |
9. |
Die Zeit |
Rudolf Heimann |
4'32 |
10. |
wENDeZEITen |
Changing Images (Volker Kuhn & Martin Kornberger) |
6'50 |
11. |
Crossing Time On Devil’s Bridge |
Pergamoon (Laszlo Kovacs) |
7'50 |
12. |
End Of An Era |
Däcker (Peter Dekker) |
6'59 |
13. |
Era |
Saiowa (Christian Meier) |
4'40 |
Um Missverständnissen vorzubeugen, schicke ich gleich den Hinweis vorneweg, dass ich selbst zur Jury für die Auswahl der schallplatte 25 gehöre. Trotzdem erlaube ich mir, einige Sätze zu dieser schon so viele Jahre erscheinenden Kostbarkeit namens schallplatte zu Papier zu bringen.
Es ist immer wieder eine Freude,
von so vielen Einsendungen verschiedenster Musiker/-innen, Bands oder Projekten
zu erfahren, was die Bedeutung der schallplatte in der EM-Szene unterstreicht.
Wichtig finde ich, dass regelmäßig neue Namen dabei auftauchen, denn es ist ja
ein Hauptanliegen von schallwende, neue Musikerinnen und Musiker zu fördern.
Auch diese 25. Ausgabe der schallplatte bietet bisher unbekannte Künstler auf.
Dass auch „alte Hasen“ wie Erik Matheisen mit von der Partie sind, freut den
Rezensenten besonders.
Das musikgeschichtlich Jahrhunderte umspannende Cover von Udo Passenberg gefällt mir wieder ausnehmend gut. Das Thema „Zeitenwende“, das von den zur schallplatte beitragenden Künstlern sicher unterschiedlich interpretiert wurde, ist in vielen Titeln gut zu erkennen. Die Künstler selbst haben zu ihrer Musik Informationen geliefert, die auf der Webseite www.schallwen.de nachzulesen sind.
Die 25. schallplatte steht unter
dem Thema „Zeitenwende“, und das Thema ist für mich in den meisten Tracks
auch zu hören oder zu spüren. Wobei es durchaus große Unterschiede gibt,
worauf die Künstler diesen Begriff beziehen. Manchmal ist es die aktuelle Lage
in unserer Welt, manchmal persönliche Belange oder der Begriff wird auch
musikalisch verstanden.
Ich greife ein paar Titel aus dem
bunten Strauß auf der „Zeitenwende“ heraus, denn die Informationen auf der
schallwende-Seite sind ja ausführlich. Und einige Stücke bzw. Musiker sprechen
für sich und bedürfen nicht vieler Worte meinerseits. Zum Beispiel „Fractal
Nutation“ von VoLt. Die beiden Briten sind ja Dauergäste bei den
schallplatten. Kein Wunder, gehören sie doch in die allererste Garde der
EM-Schaffenden, was sie auch mit diesem hoffnungsfrohen und melodiösen Track
beweisen.
WEGA dagegen war mir bisher
unbekannt. Mit „Turning Point“ liefert der Musiker Alexander Hardt ein
tolles Stück, das im Gedächtnis bleibt. Mit wenigen Mitteln bzw. nur kurzen
Melodielinien erzielt er große Wirkung. Ebenfalls neu war für mich Laszlo
Kovacs aus Ungarn, der unter dem Namen Pergamoon auf der sp 25 vertreten ist.
Sein Titel „Crossing Time On Devil’s Bridge“ gefällt mir sehr gut und die
Beschreibung zu seinem Stück ist aufschlussreich und in der Musik bestens
nachzuvollziehen.
Aus den Niederlanden kamen auch
wieder einige schöne Tracks. Tonal Assembly ist mit „Alien Discussions“
vertreten, zu dem Taede Smedes von Diskussionen über mögliches außerirdisches
Leben inspiriert wurde. Es sind also keine Aliens zu hören, dafür sehr zugängliche
EM mit interessanten Sounds, rhythmisch und mitreißend. Ein weiterer aus
unserem Nachbarland stammender Musiker ist Francois ten Have, besser bekannt als
Synchronized, der scheinbar ein Abo auf die schallplatten hat. Das muss an der
Qualität seiner Musik liegen ... Sein Beitrag zur sp 25 heißt „Weather
Forecast: Here Comes The Sun“ und ist ebenfalls sehr positiv gestimmt - keine
Spur von Sorgen. Den Titel hätte man auch als subtile Anspielung oder Warnung
vor dem Klimawandel verstehen können. Warum gibt es von Synchronized eigentlich
bisher nur das Album „Galaxy“ aus dem Jahr 2017? Da darf gerne ein
Nachfolger her. Schön, dass wir ihn zumindest auf den schallplatten immer
wieder dabei haben.
Däcker - der dritte Niederländer.
Peter Dekker hat mit „End Of An Era“ eine Hymne geschaffen! Er beschreibt
damit eine persönliche bzw. musikalische Zeitenwende, und das Stück hat einen
völlig anderen Charakter als aktuell von Däcker gehörte Musik, wie z. B. beim
Grillfest oder E-Day geboten. Seine eigene Beschreibung des Stückes passt
entsprechend gut.
Beim Titel 6 beginnt die Musik
tatsächlich sanft wie ein „Silberstreif“. Stefan Schulz (Talking To Ghosts)
entwickelt diesen Silberstreif wie einen Sonnenaufgang. Wie Stefan schreibt,
waren die Anfänge des Tracks eher düster und spiegelten Ängste wider. Dass es
aber auch in den dunkelsten Zeiten und Gedanken immer wieder Hoffnung gibt,
zeigt sein Stück auf beeindruckende Weise.
Den Abschluss der 25.
schallplatte bildet das Stück „Era“ von Saiowa. Christian Meiers Thema sind
hier die Änderungen, die die Zeit mit sich bringt. Ich kann seine Beschreibung
zwar nicht unmittelbar nachvollziehen - aber „Era“ ist ein wunderschönes Stück
mit einer tollen Melodie, die einen nicht loslässt und die gesamte schallplatte
lange nachklingen lässt.
Mit Changing Images taucht ein
lange nicht gehörter Name wieder auf. Es ist schön, die beiden Musiker Volker
Kuhn und Martin Kornberger wieder gemeinsam zu hören, denn das letzte Album von
Changing Images ist, wenn ich mich nicht täusche, 1999 erschienen. Ihr Stück
„wENDeZEITen“ umfasst die großen Bereiche Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft. Ich musste zu Beginn des Titels aber gleich an die Aggressivität
denken, mit der der Krieg in der Ukraine in unser Leben eingreift. Die E-Gitarre
macht das für mich deutlich spürbar.
Auch Bernd Braun (Klang - Raum -
Wort) war lange Zeit nicht mehr so in meinem Blick, obwohl er auf mehreren
schallplatten der letzten Jahre ebenfalls vertreten ist. Sein „Time Is Running
Out“ ist ein ruhiger Track, eine gewisse Dramatik entwickelt sich aber
langsam. Es wird drängender, dass uns die Zeit etwas zu verändern oder
aufzuhalten, davonläuft. Wie Bernd schreibt, gibt es jedoch immer Hoffnung, was
die Musik auch ausdrückt.
Getreu dem Titel „Go Back To
Start“ noch ein Satz zum ersten Stück des Albums. Dieses Stück stammt von
Spectral Tune, wohinter sich Erik Matheisen verbirgt. Erik hat gerade ein neues
Album als Spectral Tune veröffentlicht, und zum Glück hatte er auch noch genug
Kreativität für einen Track für unsere schallplatte. „Go Back To Start“
ist jedenfalls ein prima Beginn für einen solchen Sampler. Von der Überschrift
her hätte Eriks Stück auch ans Ende gepasst - als klare Aufforderung. Aber
vermutlich fängt man bei der „Wendezeiten“-schallplatte ohnehin nach dem
Durchlaufen der CD wieder von vorne an.
Wir haben hier ein Album, das
einen schönen Überblick über die aktuelle Szene der (melodiösen) EM gibt.
Durch die Anzahl von 13 Mitgliedern der Jury entstand eine bunte Mischung, weil
die Geschmäcker, Vorlieben und unterschiedlichen Hintergründe der Juroren
meiner Meinung nach eine ausgewogene Auswahl gewährleisten. Und für mich war
das Ergebnis doch eine Überraschung - man kennt halt nur seine eigene Auswahl.
Das Ergebnis der Wahl in der Form
der fertigen CD zu hören, ist eine Freude. Großartig, dass so viele
Musikschaffende dem schallwende e. V. ihre Kreativität, ihre Musik so großzügig
zur Verfügung stellen. Danke an alle!
Andreas Pawlowski